Über neue Arbeitswelten wird sehr viel diskutiert und geschrieben. Das Thema ist in aller Munde. Lang ist die Liste der Fachbegriffe, groß ist die Zahl der Experten, noch grösser die Zahl an beispielhaftem und nachahmenswertem Bildmaterial aus wohlklingenden international agierenden Unternehmen.
Dabei ist die Entwicklung einer unternehmensspezifisch neuen Arbeitswelt von intensiver Arbeit geprägt und der nicht minder intensiven Suche nach den unternehmenseigenen Werten. Eine neue Arbeitswelt muss authentisch sein, sie muss die inneren Werte des Unternehmens spiegeln. Eine neue Arbeitswelt umspannt ganzheitlich Führungskultur und Architektur, Arbeitszeitmodelle und Ausstattung von Arbeitsflächen. Eine neue Arbeitswelt bietet den Mitarbeitenden auf allen hierarchischen Stufen Vielfalt und Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeitstage und bei der Wahl ihrer Arbeitsorte.
Und: die Entstehung einer neuen Arbeitswelt setzt voraus, dass die betroffene Unternehmung den permanenten Wandel akzeptiert und sich damit ebenso permanent auseinandersetzt.
Die Hintergründe
Peter Göschl, Zentralbereichsleiter Services bei der Munich Re, brachte die Bedürfnisse „seiner“ Nutzer am 6. März 2018 mit dieser Formulierung sehr eindrücklich auf den Punkt: „Wir haben interne Wartelisten für den Wechsel in klug gestaltete Open-Spaces. Viele wollen aus den herkömmlichen Strukturen raus“. – Open-Space, Multi-Space, Smart Office, Mobile Office, Collaborative Office und viele Begriffe mehr. Egal, wie der Ort der Arbeitsverrichtung benannt wird, es geht um die Arbeit an sich und ums Arbeiten. Es geht darum, mit anderen zusammenzuarbeiten, zu kommunizieren, es geht ums Recherchieren, ums Lernen, um konzentriertes Nachdenken, ums Produzieren. Es geht mehr und mehr darum, in seiner Arbeit kreativ zu sein. Es geht aber auch darum, sich in projektspezifischen Teams unterschiedlicher Kulturen und Altersgruppen zu integrieren und lösungsorientiert auf die gesteckten Ziele hin zu arbeiten.
Der Wandel der Arbeit
Der Anteil an rein repetetiven Arbeiten im Büro nimmt rapide ab. Die Zahl der Beschäftigten, die zum Zweck ihrer Arbeitsverrichtung ortsgebunden tätig sein müssen, reduziert sich bei emotionsloser Betrachtung ganz erheblich und enorm schnell. Im Gegenzug stieg und steigt der Grad an digitalisierten Arbeitsprozessen in rasanter Geschwindigkeit, sodass die strukturelle und die prozessuale Organisation sich permanent anpassen müssen.
Organisationen und Organisatoren befinden sich in einem permanenten Lern- und Wandlungsprozess. Die daraus abgeleitete Forderung nach der Bereitstellung adäquater räumlicher Strukturen überfordert in ihrer stetig steigenden Häufigkeit mit ständig kürzerer Kadenz die klassischen Hausdienste seit mehreren Jahren.
Aus der Sicht des Arbeitgebers …
… geht es darum, den Beschäftigten – den angestammten wie insbesondere den zukünftigen – mit einem starken Auftritt sowohl Rückhalt und Anker als auch Vorreiter und Magnet gleichermaßen zu sein.
Was bedeutet das? Für viele angestammte Beschäftigte – vor allem für die älteren – ist der Arbeitgeber gleichbedeutend mit sicherem Halt und Heimatgefühlen. Die traditionelle Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist in den Köpfen verankert und sie wird artikuliert und eingefordert, ganz speziell dann, wenn es zu Veränderungen kommen sollte, welche als schmerzlich empfunden werden.
Neu eingetretene Beschäftigte – darunter vor allem die jüngeren – orientieren sich an völlig anderen Prioritäten. Die Verschiebung der Motivatoren hat sich seit einigen Jahren markant in diese Richtung und Reihenfolge bewegt: erstens Sinnhaftigkeit des Tuns, zweitens Freiräume zur Selbstverwirklichung und drittens Attraktivität des Arbeitsumfeldes. An dieser Werteveränderung – man darf von einer veritablen Werteverschiebung sprechen – sind natürlich die jungen und jugendlichen Unternehmen mitbeteiligt: Der Google-Effekt ist weitherum hör- und sichtbar, wirkt bei enorm vielen jungen Beschäftigten als stark anziehender Magnet. Aber nicht nur!
Lernwelten verändern sich
Moderne Universitäten gehen völlig neue Wege bei der Gestaltung ihrer Lernwelten. Bemerkenswerte und richtungsweisende Beispiele finden sich an den Hochschulen in Kopenhagen (Henning Larsen) und an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur, wo die Bereitstellung einer Vielfalt von Lern- und Arbeits-Flächen als zentraler Erfolgsfaktor der Schule betrachtet wird. Junge Leute, die aus solchen Bildungsinstituten auf den Arbeitsmarkt strömen, suchen sich jene Arbeitgeber aus, wo ein solch vielfältiges Arbeitsumfeld geboten wird.
Die neue Attraktivität
Vor all diesen Hintergründen ist die Rolle des Arbeitgebers bei der Bereitstellung eines adäquaten und authentischen Arbeitsumfeldes sehr viel komplexer geworden. Nicht die Adaption oder schlechte Imitation hochgejubelter hipper Arbeitswelten, sondern die Suche nach und die Entwicklung von eigenwilligen, die ureigene Marke bestimmenden Ansätzen zur Gestaltung der Arbeitswelt, zur Festlegung der Arbeitsmodelle und der Führungsgrundsätze, zur Regelung des Umgangs miteinander, – das sind die Herausforderungen, um im „war for talents“ bestehen zu können.
Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit dem stetigen Wandel in der Arbeitswelt und mit den Fragen, wie eine einzelne Arbeitswelt unternehmensspezifisch gestaltet werden kann. Während noch vor zehn, fünfzehn Jahren mit den berüchtigten Flächenoptimierungen die ökonomischen Ziele (Reduktion der Flächenkosten) zwingend im Vordergrund standen, stehen heutzutage ideelle Begriffe wie Nachhaltigkeit, langfristige Arbeitgeber-Attraktivität und andere im Fokus der Betrachtungen. Der ökonomische Wert des Arbeitsplatzes wird vielschichtig definiert.
Zu einer neuen Arbeitswelt
Bei alledem hilft und unterstützt ein interner Entwicklungs-Prozess, der mit der Neu-Gestaltung der Arbeitswelt beginnt. Idealerweise wird dieser Entwicklungs-Prozess in einem kleinen Team durchgeführt, das sich intensiv mit den Strömungen des Unternehmens beschäftigt und seinerseits Entwicklungs-Impulse an das Unternehmen aussendet.
Die sichtbare und erlebbare Darstellung der Arbeitswelt ist wichtiger Bestandteil des Employer Brandings. Das Ziel ist die Schaffung einer modernen Arbeitswelt, die in vermehrtem Maße auf Projektarbeit und entsprechend gestaltete Projektarbeitsflächen sowie auf eine Vielfalt an Raum- und Arbeitsplatz-Angebote setzt.
Das Ziel ist eine für das Unternehmen einzigartige und authentische Arbeitswelt. Beschäftigte wie Führungskräfte müssen sich darin wiederfinden und ihr Arbeitsumfeld als inspirierende Quelle zur kreativen Bearbeitung ihrer Aufgaben empfinden. Arbeitswelt, Führungsverhalten, Umgang miteinander – all das muss sich zu einer Einheit entwickeln, die ausstrahlt, die magnetisch wirkt auf die zukünftig Beschäftigten. Und die immer wieder dazu einlädt – ja geradezu auffordert – mit sich selbst im stetigen Wandel kreativ umzugehen.
Der Autor:
Marcel A. Fuchs ist selbständiger Organisationsberater und Arbeitsweltgestalter,
Mitglied des internationalen flexible.office.network (fon) und Netzwerkpartner des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung iafob.