Eine neue Büro-Arbeitswelt – ein Essay von Marcel A. Fuchs

Meeting, Besprechung

Über neue Arbeitswelten wird sehr viel diskutiert und geschrieben. Das Thema ist in aller Munde. Lang ist die Liste der Fachbegriffe, groß ist die Zahl der Experten, noch grösser die Zahl an beispielhaftem und nachahmenswertem Bildmaterial aus wohlklingenden international agierenden Unternehmen.

Dabei ist die Entwicklung einer unternehmensspezifisch neuen Arbeitswelt von intensiver Arbeit geprägt und der nicht minder intensiven Suche nach den unternehmenseigenen Werten. Eine neue Arbeitswelt muss authentisch sein, sie muss die inneren Werte des Unternehmens spiegeln. Eine neue Arbeitswelt umspannt ganzheitlich Führungskultur und Architektur, Arbeitszeitmodelle und Ausstattung von Arbeitsflächen. Eine neue Arbeitswelt bietet den Mitarbeitenden auf allen hierarchischen Stufen Vielfalt und Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeitstage und bei der Wahl ihrer Arbeitsorte.

Und: die Entstehung einer neuen Arbeitswelt setzt voraus, dass die betroffene Unternehmung den permanenten Wandel akzeptiert und sich damit ebenso permanent auseinandersetzt.

Die Hintergründe

Peter Göschl, Zentralbereichsleiter Services bei der Munich Re, brachte die Bedürfnisse „seiner“ Nutzer am 6. März 2018 mit dieser Formulierung sehr eindrücklich auf den Punkt: „Wir haben interne Wartelisten für den Wechsel in klug gestaltete Open-Spaces. Viele wollen aus den herkömmlichen Strukturen raus“. – Open-Space, Multi-Space, Smart Office, Mobile Office, Collaborative Office und viele Begriffe mehr. Egal, wie der Ort der Arbeitsverrichtung benannt wird, es geht um die Arbeit an sich und ums Arbeiten. Es geht darum, mit anderen zusammenzuarbeiten, zu kommunizieren, es geht ums Recherchieren, ums Lernen, um konzentriertes Nachdenken, ums Produzieren. Es geht mehr und mehr darum, in seiner Arbeit kreativ zu sein. Es geht aber auch darum, sich in projektspezifischen Teams unterschiedlicher Kulturen und Altersgruppen zu integrieren und lösungsorientiert auf die gesteckten Ziele hin zu arbeiten.

Foto: Alexander Limbach, Adobe Stock

Der Wandel der Arbeit

Der Anteil an rein repetetiven Arbeiten im Büro nimmt rapide ab. Die Zahl der Beschäftigten, die zum Zweck ihrer Arbeitsverrichtung ortsgebunden tätig sein müssen, reduziert sich bei emotionsloser Betrachtung ganz erheblich und enorm schnell. Im Gegenzug stieg und steigt der Grad an digitalisierten Arbeitsprozessen in rasanter Geschwindigkeit, sodass die strukturelle und die prozessuale Organisation sich permanent anpassen müssen.

Organisationen und Organisatoren befinden sich in einem permanenten Lern- und Wandlungsprozess. Die daraus abgeleitete Forderung nach der Bereitstellung adäquater räumlicher Strukturen überfordert in ihrer stetig steigenden Häufigkeit mit ständig kürzerer Kadenz die klassischen Hausdienste seit mehreren Jahren.

Foto: Jacob Lund, Adobe Stock

Aus der Sicht des Arbeitgebers …

… geht es darum, den Beschäftigten – den angestammten wie insbesondere den zukünftigen – mit einem starken Auftritt sowohl Rückhalt und Anker als auch Vorreiter und Magnet gleichermaßen zu sein.

Was bedeutet das? Für viele angestammte Beschäftigte – vor allem für die älteren – ist der Arbeitgeber gleichbedeutend mit sicherem Halt und Heimatgefühlen. Die traditionelle Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist in den Köpfen verankert und sie wird artikuliert und eingefordert, ganz speziell dann, wenn es zu Veränderungen kommen sollte, welche als schmerzlich empfunden werden.

Neu eingetretene Beschäftigte  – darunter vor allem die jüngeren – orientieren sich an völlig anderen Prioritäten. Die Verschiebung der Motivatoren hat sich seit einigen Jahren markant in diese Richtung und Reihenfolge bewegt: erstens Sinnhaftigkeit des Tuns, zweitens Freiräume zur Selbstverwirklichung und drittens Attraktivität des Arbeitsumfeldes. An dieser Werteveränderung – man darf von einer veritablen Werteverschiebung sprechen – sind natürlich die jungen und jugendlichen Unternehmen mitbeteiligt: Der Google-Effekt ist weitherum hör- und sichtbar, wirkt bei enorm vielen jungen Beschäftigten als stark anziehender Magnet. Aber nicht nur!

Foto: Vege, Adobe Stock

Lernwelten verändern sich

Moderne Universitäten gehen völlig neue Wege bei der Gestaltung ihrer Lernwelten. Bemerkenswerte und richtungsweisende Beispiele finden sich an den Hochschulen in Kopenhagen (Henning Larsen) und an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur, wo die Bereitstellung einer Vielfalt von Lern- und Arbeits-Flächen als zentraler Erfolgsfaktor der Schule betrachtet wird. Junge Leute, die aus solchen Bildungsinstituten auf den Arbeitsmarkt strömen, suchen sich jene Arbeitgeber aus, wo ein solch vielfältiges Arbeitsumfeld geboten wird.

Die neue Attraktivität

Vor all diesen Hintergründen ist die Rolle des Arbeitgebers bei der Bereitstellung eines adäquaten und authentischen Arbeitsumfeldes sehr viel komplexer geworden. Nicht die Adaption oder schlechte Imitation hochgejubelter hipper Arbeitswelten, sondern die Suche nach und die Entwicklung von eigenwilligen, die ureigene Marke bestimmenden Ansätzen zur Gestaltung der Arbeitswelt, zur Festlegung der Arbeitsmodelle und der Führungsgrundsätze, zur Regelung des Umgangs miteinander, – das sind die Herausforderungen, um im „war for talents“ bestehen zu können.

Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit dem stetigen Wandel in der Arbeitswelt und mit den Fragen, wie eine einzelne Arbeitswelt unternehmensspezifisch gestaltet werden kann. Während noch vor zehn, fünfzehn Jahren mit den berüchtigten Flächenoptimierungen die ökonomischen Ziele (Reduktion der Flächenkosten) zwingend im Vordergrund standen, stehen heutzutage ideelle Begriffe wie Nachhaltigkeit, langfristige Arbeitgeber-Attraktivität und andere im Fokus der Betrachtungen. Der ökonomische Wert des Arbeitsplatzes wird vielschichtig definiert.

Zu einer neuen Arbeitswelt

Bei alledem hilft und unterstützt ein interner Entwicklungs-Prozess, der mit der Neu-Gestaltung der Arbeitswelt beginnt. Idealerweise wird dieser Entwicklungs-Prozess in einem kleinen Team durchgeführt, das sich intensiv mit den Strömungen des Unternehmens beschäftigt und seinerseits Entwicklungs-Impulse an das Unternehmen aussendet.

Die sichtbare und erlebbare Darstellung der Arbeitswelt ist wichtiger Bestandteil des Employer Brandings. Das Ziel ist die Schaffung einer modernen Arbeitswelt, die in vermehrtem Maße auf Projektarbeit und entsprechend gestaltete Projektarbeitsflächen sowie auf eine Vielfalt an Raum- und Arbeitsplatz-Angebote setzt.

Das Ziel ist eine für das Unternehmen einzigartige und authentische Arbeitswelt. Beschäftigte wie Führungskräfte müssen sich darin wiederfinden und ihr Arbeitsumfeld als inspirierende Quelle zur kreativen Bearbeitung ihrer Aufgaben empfinden. Arbeitswelt, Führungsverhalten, Umgang miteinander – all das muss sich zu einer Einheit entwickeln, die ausstrahlt, die magnetisch wirkt auf die zukünftig Beschäftigten. Und die immer wieder dazu einlädt – ja geradezu auffordert – mit sich selbst im stetigen Wandel kreativ umzugehen.

Foto: Jakub Jirsák, Adobe Stock

Der Autor:

Marcel A. Fuchs ist selbständiger Organisationsberater und Arbeitsweltgestalter,
Mitglied des internationalen flexible.office.network (fon) und Netzwerkpartner des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung iafob.

Hochkonzentrierte Arbeit ist produktiv und gesund – von Dieter Boch

Arbeitsräume Ströer Berlin hochkonzentrierte Arbeit

Rückzugsräume für Einzelarbeit zu schaffen haben Unternehmen lange vernachlässigt. Stattdessen wurden verstärkt offene Flächen geschaffen, die den Kontakt und die Kommunikation mit anderen förderten.

Doch warum geschah das?

Mehr als drei Viertel der Wertschöpfung wird in Deutschland an Büro-Arbeitsplätzen erbracht. Das Büro ist der Produktivitätsstandort der Zukunft und Produktivität im Büro ist in erster Linie Innovation, da Standard-Arbeitsprozesse weitgehend digitalisiert sind. Bisher wurden Büroflächen jedoch nicht ausreichend als Triebfeder für Innovationen genutzt. Es galt also, die Büro-Arbeit durch gestaltende Bedingungen innovationsfreudiger zu machen.

Harrison Owen, hatte 1985 eine Studie veröffentlicht, nach der die Teilnehmer einer Konferenz die Pausengespräche als den effizientesten Bestandteil der gesamten Konferenz beurteilten. Daraus entwickelte Owen die Open-Space-Technologie zur Strukturierung von Konferenzen.

Das Ziel von Open Space: eine Atmosphäre zu schaffen, die die Energie des intensiven Erfahrungsaustausches auf ein Thema kanalisiert und nutzt. Dadurch werden Freiräume für neue, innovative Ideen geschaffen, um Ansätze zur Lösung von Problemen zu entwickeln.

Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurden bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus Platzgründen Wissenschaftler aus verschiedenen Fakultäten räumlich nah beieinander angesiedelt, die sich dort immer wieder unbeabsichtigt auf den Fluren trafen. Es war eine Zeit großer technologischer Erfindungen. Berichte aus dem MIT zeigten, dass sich diese nützlichen Innovationen aus der zufälligen Begegnung von Menschen auf den Fluren entwickelten. Daraus erwuchs die Idee, die Begegnungsmöglichkeiten zu verbessern. Die Open-Space-Konferenz-Technologie wurde zur Open-Space-Raumgestaltung.

Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Arbeiten bei Ströer in Berlin. Foto: designfunktion  

Den Rückzug planen! Aber wie?

Die meisten Veröffentlichungen, die darüber berichteten, unterschlugen aber, dass es im MIT neben der zufälligen Begegnung auf dem Flur oder in Gemeinschaftsbereichen auch immer den Rückzugsbereich – das einzelne Büro – gab.

In den 2000er Jahren wurden am MIT alle Türen der Einzelbüros zum Flur hin mit einem Extra-Schallschutz versehen. Die Professoren am MIT wollten nicht einen Open-Space-Arbeitsplatz, sondern immer die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sich zu fokussieren.

Sind nun Einzelbüros die einzige Lösung, ungestört von Lärm und Ablenkung, fokussiert zu arbeiten? „Nein“, sagt Jonas Lindemann im Interview mit iafob deutschland. Denn es gäbe kaum pauschale Antworten auf die Frage der idealen Umgebung von Deep Work. “Für einige ist an einem Tag ein belebtes Café der ideale Ort, um an einem wissenschaftlichen Text zu schreiben und am nächsten Tag eine ‚Museumsatmosphäre’  absolut passend. Unsere Lösung ist es also, möglichst viele Zonen anzubieten, die jederzeit für eine spontane Nutzung zur Verfügung stehen.”

Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeitsumgebung sehr zufrieden sind, zeigen sich sehr engagiert. Umgekehrt erweisen sich mit ihrer Arbeitsumgebung sehr unzufriedene Beschäftigte als am wenigsten engagiert. Dies ergab der Global Report von Steelcase bereits im März 2016. Am zufriedensten waren die Mitarbeiter, die die Möglichkeit hatten, sich ungestört zurückzuziehen und die Arbeitsumgebung je nach anstehender Aufgabe frei wählen zu können.

Doch Rückzugsräume für konzentriertes Arbeiten fehlen. Nur 44 Prozent der Mitarbeitenden können sich für konzentriertes Arbeiten zurückziehen.

Warum ist Rückzug so wichtig? Und wie sollte er gestaltet sein?

In seinem vielbeachteten Buch “Deep Work” berichtet Cal Newport über ein Experiment des Psychologen Stephen Kaplan im Jahre 2008 an der Ann Arbor University of Michigan. Zwei Gruppen hatten eine konzentrationsintensive Aufgabe zu lösen. Beide Gruppen mussten die Arbeit unterbrechen und eine Pause machen. Die eine Gruppe musste auf einem Waldweg spazieren gehen, die andere machte den Spaziergang durch das lebhafte Stadtzentrum.

Ergebnis: Die Naturgruppe erbrachte bis zu 20 Prozent bessere Leistungen. Dieses Resultat blieb auch bestehen, als dieselben Personen in einem zweiten Experiment die Örtlichkeiten tauschten. Es waren also nicht die Menschen, die die Leistung bestimmten, sondern die Umgebung des “Pausenraums”.

Das Experiment bestätigte die Attention Restoration Theory (ART), wonach die Umgebung – insbesondere eine reizarme, naturnahe Umgebung – die Konzentrationsfähigkeit stärkt. Auszeiten füllen also die Energiereserven, die insbesondere bei der Aufmerksamkeit endlich sind, wieder auf.

Dina Andersen, die bei der Jahrestagung des iafob deutschland 2018 einen Workshop zu Cowork und Deep Work moderiert, hat in einem Projekt der Allianz in München verschiedene Lösungen zum Auffüllen der Energiereserven aufgezeigt.

Zum einen sind in den “Market Places” sogenannte “Caves” gegeben, die die wichtige Möglichkeit zum Rückzug, zur Rekreation bieten. Auch eine “Drop-Out-Zone” wurde ermöglicht, in die man sich zu Recherchezwecken zurückziehen kann.  Zum anderen gibt es eine “Park Zone“, eine ruhige weitläufige Rekreations- und Ruhezone, die die Anmutung einer Waldlichtung hat. Insbesondere diese Zone soll helfen, zur Ruhe und zum Auftanken zu kommen, indem man die Natur in den Raum holt.

Diese Lösung hatte auch vor Jahren schon das Unternehmen Bw Bekleidungsmanagement – Mitglied im flexible.office.network. – gewählt. Es gestaltete in einem Teamraum die Wand mit einem Foto der Schweizer Alpen sowie den Arbeitstisch als grüne Wiese und ummantelte die Lampen mit einer Echtgrasverkleidung.

Den Rückzug durch die Mitarbeitenden mitgestalten lassen, nicht vorschreiben.

„Arbeitnehmer, die ihre Büroeinrichtung kontrollieren, arbeiten zufriedener“, sagte Elisabeth Arnold, Vorstandsmitglied im Verband der Betriebsärzte, schon 2011 in der FAZ. Ideen einreichen können steht an dritter Stelle der Partizipationswünsche der Mitarbeiter (Studie von Jennifer Konkol, 2010).

Sandro Zimmermann von der Swisscom AG, der schon im letzten Newsletter über Rückzugsräume berichtet hatte, schreibt dazu: “Swisscom arbeitet seit 2007 schweizweit in Multi-Space-Konzepten. Zu Beginn kannten wir als Rückzugsräume sogenannte Fokusräume, die von einer Person genutzt werden konnten – oftmals als Einzelraumbüro einen ganzen Tag lang. Nachdem die Verfügbarkeit der Fokusräume in den großen Bürogebäuden immer mehr abnahm, entschied man sich, größere Räume mit bis zu 15 Arbeitsplätzen für konzentriertes Arbeiten einzurichten. Zu Beginn waren diese Räume als Bibliothek ausgestaltet, heute eher mit flexiblen einfachen Arbeitsplatzmodulen, die den Mitarbeitenden etwas Abstand und Privatsphäre bieten.”

Unternehmen sollten also Rückzugsmöglichkeiten auf Grundlage der Wünsche und Ansprüche von Mitarbeitenden entwickeln lassen. Menschen sind soziale Wesen und arbeiten ist eine soziale Aktivität. Das gilt auch für fokussiertes, konzentriertes Arbeiten. Jeder der schon mal eine Universitätsbibliothek besucht hat und sieht, wieviele dort ruhig aber nicht allein lernen, weiß, dass konzentrierte Tätigkeit in der Gemeinschaft “ansteckend” und nützlich ist.

Fazit

Trennen wir doch das Bestreben, Ideen durch (zufällige) Begegnungen zu erhalten von dem Vorhaben des konzentrierten Verarbeitens einer Idee. Versuchen wir doch jede Performance einzeln zu optimieren, statt sie miteinander zu einem Gemisch zu vermengen, das beiden Zielsetzungen im Weg steht.

Das heißt: Wir brauchen sowohl „Coworking“ als auch „Deep Work“, um effizient zu arbeiten und optimale Ergebnisse zu erzielen.

Dina Andersen: „Office-Gestaltung ist heute weit mehr als reine Innenarchitektur“

Dina Andersen, Innenarchitektin

Gerade hat Dina Andersen den „Iconic Award 2018“ in der Kategorie „Innovative Architecture“ für die Gestaltung des Siemens Coworking Space gewonnen. Auch der „German Design Award“ wurde der Innenarchitektin in diesem Jahr verliehen – für die Gestaltung der Allianz Global Digital Factory. Dina Andersen ist Gründerin von D’NA Unique Corporate Spaces und hat sich auf die Einrichtung von Corporate Interiors spezialisiert.

Auf der iafob-Jahrestagung am 22. November 2018 in Bern gestaltet die viel prämierte Architektin einen Workshop zu Coworking und vernetztem Arbeiten.

Wir sprachen vorab mit ihr über ihre Arbeit und wie es ihr gelingt, Mitarbeiter in den Kreationsprozess einzubeziehen.

IAFOB:
Frau Andersen, „Creating Corporate Culture Clubs –Co-Working und vernetztes Arbeiten der Zukunft“ ist der Titel Ihres Workshops auf der iafob deutschland Jahrestagung 2018. In Ihren Projekten betonen Sie, dass Sie ein Arbeitsumfeld schaffen wollen, das Innovationskraft, Kreativität und Lösungswillen entfaltet. Wie schaffen Sie das?

DINA ANDERSEN:
Räume nehmen direkten Einfluss auf das, was wir tun und wie wir es tun. Das ist meine feste Überzeugung und auch die Erfahrung zeigt das. Viele Unternehmen wollen neue Arbeitsmethoden etablieren. Dabei stehen Innovationskraft, Kreativität und Lösungswillen des Einzelnen sowie der Teams mehr denn je im Fokus. Ich sehe es als planerische Hauptaufgabe, diese Anforderungen in einem positiven und fördernden Sinne zu unterstützen und abzubilden.

Kommunikation und Kollaboration sind in vielen Tätigkeitsbereichen mittlerweile die wichtigsten Arbeitsmittel und dies gilt es im Raum darzustellen. Gute Arbeitsumfelder sollen helfen, bereitstellen aber auch ein wenig auffordern, das Umfeld selber mitzugestalten, es flexibel und modifizierbar zu halten.

Office-Gestaltung geht heute weit über reine ansprechende Innenarchitektur hinaus. Sie ist ein Work-Tool geworden. In diesem Sinne versuche ich, dem Thema und der Aufgabe angemessen, „Corporate Culture Clubs“ zu etablieren – gemeinsam mit den Mitarbeitern. Ziel ist, dass ein Ort entsteht, der eindeutig die Identität der Teams abbildet und die Kultur des Unternehmens kommuniziert. Diese Arbeitsorte haben – vielleicht wie eine kleine Stadt – unterschiedliche Angebote und Situationen: vom „Café“ zur Kommunikation über kleine Rückzugs“parks“ bis zur Versorgung mit allem, was zum Arbeiten benötigt wird. In jedem Fall ist es aber immer das eine, besondere Umfeld für diese speziellen Mitarbeiter und das spezielle Unternehmen.

IAFOB:
Sie stellen die Identität der Nutzer in den Mittelpunkt Ihrer Planungen und haben dabei das Wohlbefinden der Mitarbeitenden immer im Auge. Welche Vorgehensweise wählen Sie bei Ihren Planungen?

DINA ANDERSEN:
Ich lege keine Schablone an – jedes Projekt ist einzigartig. Ich bringe mein Wissen, meine Erfahrung und meine Begeisterung über Corporate Spaces ein und erkläre das auch. Somit sprechen alle die gleiche Sprache, sind für das Thema qualifiziert und es wird möglich, die Aufgabe als Sparringspartner zu lösen – zwischen Planer und Unternehmen bzw. Mitarbeitern. Räume können uns viel ermöglichen: von tiefer Konzentration bis hin zu Spaß an dem, was wir tun. Wir müssen „einfach“ die wichtigsten Themen im 3-Dimensionalen abbilden und erlebbar machen, damit der Raum zu einer tatsächlichen Bereicherung wird.

IAFOB:
Die Jahrestagung 2018 betont mit Ihrem Titel “Deep Work” den wichtigen Aspekt des fokussierten Arbeitens. Wie gestalten Sie in Ihrer “Raumplanung” die Anforderung nach Rückzug zum Denken mit sich selbst und zur Erholung?

DINA ANDERSEN:
Die Wichtigkeit des räumlichen Dialogs zwischen Konzentration und Kollaboration ist bereits bekannt. In den letzten Jahren ist eventuell der Schwerpunkt zu oft auf die Kollaboration und Kommunikation gelegt worden. Das Ergebnis war in nicht wenigen Fällen die Unzufriedenheit der Mitarbeiter, da es ein zu hohes und zu dauerfrequentes Störpotential in den sogenannten „Open Spaces“ gab. Das soll natürlich nicht sein. Nur eine Ausgewogenheit beider Themen kann förderlich sein.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass schon durch die Strukturierung und Wegeführung des Raumes viel Einfluss auf Störpotentiale genommen werden kann. Dort, wo ich Flächen öffne, kann es nicht sein, dass ständig 30 Mitarbeiter zum Coffeepoint durchwandern.

Im Detail sind Themen wie Rückzugsorte im Sinne von Räumen in regelmäßigen Abständen einzuplanen, aber auch die klassischen Themen wie Akustik und Oberflächen mit besonderem Augenmerk zu behandeln. Nur wer sich regelmäßig fokussieren und konzentrieren kann, und somit neue Ideen und Lösungen erdenken kann, wird auch in der Teamkommunikation wertvolle Inhalte einbringen können. Dieses Thema ist ein sehr wichtiges.

IAFOB:
Sie moderieren einen Workshop auf der Jahrestagung. Wie werden Sie den Teilnehmern die Ziele und Vorgehensweise bei der Einrichtung von Corporate Interiors übermitteln?

DINA ANDERSEN:
Ich werde eine Einführung und Qualifizierung in die Planungsmöglichkeiten im Raum geben, damit wir alle wissen, was mit welcher Maßnahme erreicht werden kann und wie wir das tun können. Wir werden einige Referenzprojekte zu Lösungen ansehen und gerne diskutieren.

Im Workshop selber werden wir anhand einer Beispielfläche gemeinsam ein Layout strukturieren um zu erfahren, was es an unterschiedlichen Möglichkeiten der räumlichen Umsetzung geben kann und wie sich die Raumstruktur auf den Arbeitsprozess und das Befinden der Mitarbeiter auswirken kann. Auf diese gemeinsame Arbeit und die Diskussionen freue ich mich bereits.

Prof. Dr. Hartmut Schulze, Fachhochschule Nordwestschweiz: „Undifferenzierte Großraumbüros behindern konzentriertes Arbeiten“

Prof. Dr. Hartmut Schulze, Fachhochschule Nordwestschweiz

Prof. Dr. Hartmut Schulze Professor an der Hochschule für Angewandte Psychologie (Fachhochschule Nordwestschweiz) und leitet seit 2011 das Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung. Seine Schwerpunkte liegen in der Analyse, Gestaltung und Evaluation von Konzepten und Lösungen zu Arbeits- und Büroräumen, zu mobil-flexibler Arbeit und zur Mensch-Roboter-Interaktion.

Der Arbeits- und Organisationspsychologe arbeitete zuvor in der Forschung & Entwicklung bei DaimlerChrysler, wo er das Team „Psychologie im Engineering“ im Labor „IT for Engineering“ verantwortete.

Auf der iafob-Jahrestagung am 22. November 2018 in Bern spricht Prof. Schulze über die Wiederentdeckung von „Deep Work“. Vorab stand er uns Rede und Antwort über konzentriertes Arbeiten und wie sich Ablenkungen am besten ausblenden lassen.

IAFOB:
„Deep Work – zur Relevanz eines «wiederentdeckten» Arbeitsmodus für die Gestaltung von Arbeit und Büroumgebungen“ist der Titel Ihres Vortrags auf der iafob deutschland Jahrestagung 2018. Sich ganz auf eine Sache zu fokussieren war aber doch immer entscheidend für die Erledigung einer Aufgabe. Wie konnte dieser Arbeitsmodus bei der Gestaltung von Büroumgebungen vergessen werden?

PROF. SCHULZE:
Man kann bei dieser Frage fast den Eindruck eines Pendels gewinnen, das von einem Extrem ins andere schwingt… Schaut man auf die Entwicklungsgeschichte von Büroräumen, so lassen sich wiederkehrende Muster erkennen.

Grossräume und uniforme Arbeitsplätze waren schon mal Ende des 19. Jahrhunderts populär, bevor dann Zellenbüros Mitte des letzten Jahrhunderts sehr verbreitet waren. Letztere förderten die zurückgezogene konzentrierte Arbeit – behinderten aber spontane, ungeplante Begegnungen.

Mit der beginnenden Vernetzung und der Einführung des Internets in den 1970-ern wurde die spontan sich ereignende Kommunikation als ein Erfolgsfaktor für Wissensarbeit erkannt. Informelle Kommunikation zwischen Kollegen und quer durch die Hierarchien sollte durch den Wegfall von Wänden deutlich besser unterstützt werden und bildete eine zentrale Motivation für die Einführung von Grossraumbüros.

Mittlerweile zeichnet sich immer klarer ab, dass insbesondere undifferenzierte Grossräume konzentriertes Arbeiten stark behindern und darüber hinaus fördern sie kommunikative Episoden deutlich weniger als angenommen. Es mag zwar trivial erscheinen, aber Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Formen von Zusammenarbeit und Einzelarbeit kommen erst jetzt in den Blickpunkt und sind gestalterisch nicht so leicht umzusetzen. Wobei «activity based»- bzw. Multispace-Arbeitsumgebungen schon einige Ansatzpunkte bieten.

IAFOB:
Konzentriertes Arbeiten entsteht erst dann, wenn wir sämtliche Ablenkungen ausblenden. Wir alle sind umflutet von Informationen, Nachrichten von Facebook oder E-Mails. Wie lassen sich diese permanenten Ablenkungen im Büroalltag ausblenden?

PROF. SCHULZE:
Im Rahmen von Wissensarbeit stellen Unterbrechungen in der Tat Belastungen dar, die nach der Jahrtausendwende deutlich zugenommen haben und deren negative gesundheitliche Auswirkungen v.a. in Kombination mit Zeitdruck in Form von Burnout, Depression und kardiovaskulären Erkrankungen gut belegt sind. Auch in aktuellen Längsschnittstudien wie beispielsweise von Haapakangas et al. (2018) zeigen sich Ablenkungen und Unterbrechungen als kritischer Faktor beim Umzug von Einer- oder Mehrzellenbüros in Grossraumbüros.

Gleichzeitig können Unterbrechungen allerdings auch etwas Gutes für das eigene Arbeitshandeln haben, beispielsweise wenn man im Rahmen eines Telefonats mitbekommt, dass sich die Anforderungen für ein Meeting verändert haben. Eine gute Kombination von Arbeitsabschnitten in vollständiger visueller und akustischer Zurückgezogenheit mit Formen des Coworkings im Angesicht von Anderen und der Möglichkeit zu informeller Kommunikation erfordert ein entsprechendes Angebot an Räumlichkeiten.

Es braucht dann aber auch die individuelle Kompetenz, die passende Räumlichkeit für die jeweilige Aufgabe zu suchen. Und es bedeutet weiterhin, die «inneren» Ablenkungen kontrollieren zu können.

In jedem Fall hilft es, Emails, Telefon und sonstige «Prompts» aus sozialen Foren bewusst für die Phase des konzentrierten Arbeitens abzuschalten. Dies muss allerdings auch in der Arbeits- und Organisationskultur verankert und anerkannt sein. Das heißt, Kollegen, Kolleginnen und Vorgesetzte sollten die Mitarbeitenden in diesen Phasen auch in Ruhe arbeiten lassen können.

IAFOB:
Mitarbeitende, die ihre Arbeitsumgebung (mit)gestalten dürfen, sind zufriedener und produktiver. Können Mitarbeitende ihren “Rückzugsraum” für fokussiertes Arbeiten selbst gestalten? Oder ist das nur im Home Office möglich?

PROF. SCHULZE:
Wenn das Ziel darin besteht, für Mitarbeitende und ihre Aufgaben eine optimale Büroarbeitsumgebung zu schaffen, so ist man gut beraten, sie an der Gestaltung auch zu beteiligen. Sie sind die Fachexperten und kennen die Anforderungen, die ihre Aufgaben an sie stellen auch am besten. Nicht von ungefähr ist die «Zufriedenheit mit der Büroraumumgebung» ein Prädiktor für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit.

Für ihre Beteiligung spricht auch, dass sich die Bedürfnisse von Mitarbeitenden individuell unterscheiden können – die einen brauchen stärker eine Verbindung zu ihren Kollegen und Kolleginnen und die anderen sind im vollkommenen Rückzug am produktivsten. Die jeweilige Präferenz ist häufig auch von der Situation und der eigenen Stimmung abhängig und kann sich somit innerhalb von Personen über den Tag oder die Woche ändern. Selbstachtsamkeit und Selbstwahrnehmung sind somit wichtige Grundlagen für die Kompetenz, den richtigen Ort für den jeweiligen Aufgabenkontext wählen zu können.

Von daher braucht es meiner Ansicht auch Lernprozesse und Anschauungsbeispiele, um Mitarbeitende in die Lage zu versetzen, qualifizierte Gestaltungslösungen erarbeiten zu können. Hinzu kommt, dass zunehmend auch Erkenntnisse beispielsweise aus der psychologischen Grundlagenforschung neue Perspektiven für die Gestaltung von Arbeitsräumen bieten, die sich nicht unmittelbar und intuitiv erschliessen.

So gibt es beispielsweise neben dem konzentrierten, fokussierten Verarbeitungsmodus auch einen assoziativen, freischwebenden Modus, der günstig ist für die Entwicklung kreativer Ideen und von Innovation. Für die Gestaltung von Stillarbeitsräumen kann z.B. die Construal Level Theorie Anregungen liefern. So ist ein Blick in die Weite beispielsweise günstig bei Aufgaben mit höheren Abstraktionsniveaus, da die beiden betroffenen Hirnareale in unmittelbarer Nähe liegen und sich gegenseitig enervieren. In der gleichen Logik ist für die Umsetzung konkreter Lösungen ein tieferes Construal Level und damit einhergehend eine reizärmere Umgebung förderlich.

So gesehen braucht es meines Erachtens die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden und professionellen Gestaltungsexperten.

IAFOB:
Die Jahrestagung 2018 betont mit Ihrem Titel “Cowork” den wichtigen Aspekt des Zusammenarbeitens, des Wissensaustauschs und gemeinsamen Lernens. Aus diesen Kontakten entstehen Ideen und Projekte. Coworking Spaces steigern das Innovationspotenzial. Wie lassen sich die Ziele von Deep Work und Cowork in einer Arbeitsumgebung verwirklichen?

PROF. SCHULZE:
Das ist in der Tat eine Herausforderung. Bisherige Coworking Spaces zeichnen sich ja vor allem durch ein vielfältiges Angebot an Kollaborationsflächen aus. Nebeneinander, aber nicht allein – dies ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Motto.

Wir kennen das alle: Manchmal und für manche ist das Für-sich-Arbeiten in einem bevölkerten Café ertragreicher als im einsamen Home Office. Gleichzeitig kommt aber dem Angebot von Räumlichkeiten für zurückgezogene Einzel- oder Gruppenarbeit und deren einfacher Zugänglichkeit am besten in Sichtweite von Standardarbeitsplätzen eine wichtige Bedeutung für die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung, für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit zu.

So gesehen ist das Nebeneinander von gut ausgestatteten und gut gestalteten Rückzugsräumen und von Räumlichkeiten für Zusammenarbeit und Kollaboration perspektivisch richtig. Zentral dafür ist sicherlich die Realisierung einer adaptiven Akustik. Eine zu hohe Lärmbelastung durch Gespräche, Telefonate und Bewegung stellt noch immer eine der zentralen Schwachstellen bestehender Grossraumbüros und Multispaces dar.