Sie ist ehemalige Leistungssportlerin, zertifizierte Trainerin für Leadership und wurde 2016 von FOCUS und XING als „Top-Coach 2016“ ausgezeichnet: Sevira Patricia Landsberg setzt in ihren Coachings neue Impulse für zeitgemäße Führungs- und Kommunikationskultur und bringt über 20 Jahre Erfahrung in Marketing, Vertrieb und Geschäftsstellenleitung im Bankensektor mit.
Auf der iafob-Jahrestagung 2018 am 22. November 2018 in Bern spricht sie über die Rolle der Führung in einer offenen Arbeitswelt. Wir befragten sie hierzu vorab.
IAFOB:
Frau Landsberg, „Aufforderung zum Tanz auf neuem Terrain – die Rolle der Führung in einer offenen Arbeitswelt“ ist der Titel Ihres Vortrags auf der iafob deutschland Jahrestagung 2018. Wollen Sie damit ausdrücken, dass Führung abhängig ist von der räumlichen Gestaltung?
SEVIRA P. LANDSBERG:
Ich bin davon überzeugt, dass Führungskräfte heute gut beraten sind, den Raum in ihre Führungstätigkeit noch bewusster mit einzubeziehen. Gerade wenn in den modernen offenen Arbeitswelten die gewohnten Bürowände nicht mehr da sind, ergeben sich völlig neue atmosphärische Bedingungen und auch Stressfaktoren, die auf die hier arbeitenden Menschen einwirken. Dies zu ignorieren, wäre geradezu fahrlässig. Die Arbeit und das Miteinander müssen im ersten Schritt neu erfahren und organisiert werden, damit sich im weiteren Verlauf die Ziele, die ein Unternehmen mit einer offenen Arbeitswelt verknüpft, überhaupt erst verwirklichen lassen. Hier ist aufmerksame Führung unerlässlich, um diese Prozesse konstruktiv zu unterstützen.
Eine weitere Herausforderung für heutige Führung ist, dass sich Arbeitsinhalte aufgrund der sich rasant verändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen aus Agilität und Komplexität immer mehr in Richtung kreativer, anspruchsvoller Wissensarbeit entwickeln. Es ist deshalb unerlässlich, dass Führungskräften und Mitarbeitern bewusst ist, dass dies andere Herangehensweisen an die Arbeit erfordert.
Dazu gehört auch die Kenntnis darüber, welche Umgebungskomponenten das Neue Arbeiten fördern oder sogar erst ermöglichen: Welche Räume eignen sich für produktive Teamarbeit, welche für konzentrierte Einzelarbeit, welches Umfeld ist für kreative Prozesse sinnvoll? Für die Mitarbeiterführung: Welche Art von Vertraulichkeit oder professioneller Distanz braucht ein Führungsgespräch im individuellen Fall, und welchen Raum wähle ich hierfür?
In meinen Coachings und Trainings erlebe ich bei den Führungskräften einige „Aha-Effekte“, wenn ihnen die hohe Bedeutung des Raums für ihre Wirksamkeit bewusst wird.
IAFOB:
Direkte Kommunikation ohne Barrieren ist eines der Elemente einer offenen BüroArbeitswelt. Es soll eine Atmosphäre geschaffen werden, die die Energie des intensiven Erfahrungsaustausches aller Mitarbeitenden nutzt. Wie kann die Führungskraft dazu beitragen?
SEVIRA P. LANDSBERG:
Führungskräfte stehen in der Verantwortung, für diese neue Art der Kommunikation mit gutem Beispiel voranzugehen: indem sie selbst in der Fläche präsent sind, Erfahrungsaustausche initiieren und Mitarbeiter gezielt und gleichzeitig achtsam ansprechen. Sie müssen sich darüber bewusst sein, dass dabei viel Umsicht erforderlich ist.
Die neue barrierefreie Kommunikation birgt die Gefahr, dass Arbeitsprozesse ständig unterbrochen werden und Mitarbeiter sich gestört oder kontrolliert fühlen – mit unerwünschten Nebenwirkungen in Form von steigenden Fehlerquoten und erhöhtem Stresslevel. Wesentlich ist deshalb unter anderem, Rücksichtnahme zu üben und auf eine angemessene Lautstärke beim Sprechen zu achten.
Zu einer guten Atmosphäre aktiv beizutragen, ist ein weiteres Schlüsselthema, denn Stimmung ist viel schneller ansteckend in einer offenen Arbeitswelt, als hinter geschlossenen Bürotüren. Auch nonverbale Kommunikation hat hier deutlichere Auswirkungen – wer gestresst und mit gesenktem Kopf über die Fläche geht, produziert „dicke Luft“ allein über seine Körpersprache.
Auf Führungskräfte kommt also die sicherlich ungewohnte Rolle eines „Atmosphärenmanagers“ zu: Es geht darum, präsent zu sein – ohne jedoch übergriffig einzuwirken – und eine insgesamt umsichtige, konstruktive Gesprächskultur zu fördern. Hier nimmt die Führungskraft eine zentrale Vorbildrolle ein. Direkte Kommunikation ohne Barrieren will also gelernt sein! Doch wenn sie durch die Führungskraft und Mitarbeitenden gut verinnerlicht ist, wird sie ihre Wirkung kraftvoll entfalten.
IAFOB:
Führungskräfte müssen heute Wertschöpfer, Innovatoren, Netzwerker und Dienstleister am Mitarbeiter sein. Wie können sie diese Rolle wahrnehmen? Was müssen sie mitbringen, was lernen?
SEVIRA P. LANDSBERG:
Für viele erfahrene Führungskräfte, die ich in Workshops und Coaching begleite, erscheinen die neuen Rollenanforderungen geradezu utopisch. Ihre Führungsrolle verändert sich ja auch dadurch, dass Expertenwissen künftig immer weniger bei ihnen liegt. Dies kann sich zur größten Herausforderung entwickeln, wenn sie dies als Macht- oder Statusverlust erleben.
Statusdenken, wie es in vielen Führungskulturen etabliert ist, muss sich jedoch radikal ändern, damit neue Führungsrollen überhaupt wirksam werden können. Viele Führungskräfte fühlen sich in der Übergangsphase entmachtet und orientierungslos. Dies mag auch daran liegen, dass ihnen „Blaupausen“ und realistische Vorbilder für die neuen Rollen fehlen – sie müssen sich quasi selbst neu erschaffen!
Berücksichtigt man diese Gegebenheiten, so braucht es für einen so tiefgreifenden Wandel der Führungsrolle vor allem Zeit, Akzeptanz, Empathie und eine hierarchieübergreifend konstruktive Feedback-Kultur, um die von der Umwälzung betroffenen Menschen nicht zu verlieren.
Erst wenn Akzeptanz und Offenheit erkennbar sind, können die neuen Rollen wirksam erschlossen werden: Mut und Bereitschaft, die Zukunft gestalten zu wollen, sind zentrale Voraussetzungen für Neues Führen. Um diesen gerecht zu werden, müssen Führungskräfte aller Ebenen vor allem auch gut zuhören können. Sie müssen Ermöglicher und Potenzialentfalter sein und auch das situative Führungshandwerk beherrschen. Ergebnisoffenes Ausprobieren, Reflexion und eine ständige Lernbereitschaft sind ebenso wichtig. Moderne Führungskräfte brauchen mehr denn je ein gutes Moderationsvermögen, um hoch kompetente interdisziplinäre Teams wirksam zu steuern.
Relativ neu für viele Führungskräfte ist die Fähigkeit der lateralen Führung – also Führung auf „Augenhöhe“. Sie müssen dafür nicht nur führen, sondern auch folgen können – in einem Projekt sind sie selbst Führender, im anderen Fall folgen sie dem Experten als beratender Unterstützer.
IAFOB:
Die Akzeptanz einer offenen BüroArbeitswelt durch die Mitarbeitenden hat viel mit der Unternehmenskultur, die in einem Unternehmen gelebt wird, zu tun. Ändert das “neue Führungsverhalten” die Kultur oder müssen erst die Defizite der alten Unternehmenskultur beseitigt werden?
SEVIRA P. LANDSBERG:
Die neue, offene Arbeitswelt macht die bestehende Unternehmenskultur mit ihren vielschichtigen Merkmalen in jedem Fall deutlicher sichtbar. Sicherlich ist es sinnvoll, offensichtliche Defizite frühzeitig zu thematisieren und zu bearbeiten. Doch kulturelle Aspekte wirken subtil, sind in ihren Ursachen oft schwer zu identifizieren und selten „per Ansage“ wirksam auszuräumen. Auch Führungskräften muss bewusst sein, dass sie Teil dieser Kultur sind.
Aus meiner Erfahrung in der Begleitung von Kulturwandel in Unternehmen ist dies ein längerer Prozess, der auch davon lebt, die Kulturveränderung auf mehreren Ebenen zu vollziehen. Dafür braucht es eine hierarchieübergreifend verbindende Kommunikation, die glaubwürdig vermittelt, warum der Wandel wichtig ist, welche Entscheidungsfreiräume dafür bereit stehen und welche Richtung eingeschlagen wird.
Es muss bewusst werden, dass nicht allein die Führungskräfte für Kulturwandel zuständig/verantwortlich sind, sondern alle Mitarbeitenden im Unternehmen – alle prägen die Kultur! Wichtig erscheint mir auch, dass das neue Führungsverhalten beständig – und nicht beliebig – mit viel Sozialkompetenz gelebt wird, so dass es eine klare Orientierung darstellt.
Dies lässt sich nicht durch einmalige Veränderungsimpulse bewerkstelligen, sondern braucht professionelle Begleitung und Coaching über einen längeren Zeitraum. Außerdem ist eine passende Personalpolitik unerlässlich. Denn es gilt, im Recruiting genau die Menschentypen zu finden, die nicht gegen innere Widerstände, sondern mit Freude und Begeisterung in einem Umfeld einer neuen Unternehmenskultur arbeiten möchten.