Dr. Hannah Schade: Wie gesundes Arbeiten gelingt – Erholung und Ergonomie im Fokus

Welche Chancen haben Mitarbeitende, ihre gesundheitlichen Ansprüche in der Büroarbeitswelt zu realisieren? Und wie können Unternehmen eine gesundheitsfördernde Arbeitskultur unterstützen?

In Vorbereitung auf die iafob deutschland Jahrestagung 2024 sprachen wir mit Dr. Hannah Schade, Expertin für Gesundheitspsychologie vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, über die Bedeutung von Erholung und Ergonomie in der modernen Büroarbeitswelt.

Auf der diesjährigen Jahrestagung spricht sie zum Thema ““Erholung und Ergonomie” und legt den Fokus auf die Schwerpunkte Pausenkultur, Prävention von Erkrankungen und Verbesserung der Haltung.

Hier können Sie sich zur Jahrestagung am 15.10.2024 anmelden.

 


 

iafob: Sie werden bei der iafob deutschland Jahrestagung 2024 über „Erholung und Ergonomie“ sprechen. Welche Chance hat der Einzelne in der BüroArbeitswelt, seine gesundheitlichen Ansprüche zu realisieren?

Dr. Hannah Schade: Das ist ein zweischneidiges Schwert – ich möchte nicht davon ablenken, dass es vor allem Unternehmen und Führungskräfte sind, die einen Rahmen und eine Kultur schaffen sollten, in dem die Mitarbeitenden Lizenz und Möglichkeit haben, sich gesundheitsförderlich zu verhalten.

Aber jede:r Einzelne kann natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und demonstrativ seine Arbeitsmittel ergonomisch einstellen, auf regelmäßige Pausen und einen rechtzeitigen Feierabend achten, und immer wieder auf die Wichtigkeit von Erholung und Schmerzfreiheit für produktives Schaffen hinweisen.

 

iafob: „Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst der Arbeit“, sagte einst der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Dr. Hannah Schade: Definitiv! John Steinbeck trifft es auf den Kopf. Für Erhalt und Förderung der Leistungsfähigkeit ist Erholung unabdingbar; im Schlaf verarbeiten wir Erlebtes, Gelerntes wird abgespeichert, der Körper erholt sich.

Auch in Pausen wird Erschöpfung abgebaut, die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitssteuerung wiederhergestellt, und auch die Belastung für Augen und Rücken durch zu langes Starren auf den Bildschirm in einer Haltung wird eingedämmt. Wer Höchstleistungen erbringen will, oder auch nur langfristig leistungsfähig und resilient bleiben möchte, muss Wege finden, sich erfolgreich zu erholen.

 

“Es braucht es eine Allianz von Unternehmen, Führungskräften und Mitarbeitenden, um unsere Arbeitskultur zu ändern. “

 

Wenn es um Höchstleistungen geht wie im Leistungssport, wird auf Ruhephasen geachtet, in denen der Körper sich erholen kann, obwohl es dabei viel weniger um Work-Life-Balance, sondern um Höchstleistungen geht.

Das ist teilweise sehr bitter, denn niemand profitiert von kranken Mitarbeitenden. Hier braucht es eine Allianz von Unternehmen, Führungskräften und Mitarbeitenden, um unsere Arbeitskultur zu ändern.

Oft ergibt sich bei der aktuellen Arbeitsverdichtung ein Teufelskreis: Das Gefühl, nicht alles geschafft zu haben, führt dazu, länger zu arbeiten und auch am Abend vermehrt an die Arbeit zu denken (Zeigarnik-Effekt).

 

“Jede:r Einzelne kann und muss auf seine Gesundheit achten, denn niemand sonst kann so gut einschätzen, was man gerade braucht, ob das eine Stretchpause ist oder mehr Feierabendhygiene.”

 

Oft leidet auch der Schlaf darunter, welcher aber unabdingbar ist für alle kognitiven Fähigkeiten, Gedächtnis, etc. Unerholt versucht man am Folgetag erfolglos, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, und landet eben wieder im Defizit. Dann steht man dem Berg an Arbeit noch hilfloser gegenüber und versucht mit noch mehr Arbeit, den Mangel an Konzentration auszugleichen.

Daher braucht es Trendsetter, die ihre Gesundheit priorisieren, und zunächst darauf achten, dass die Grundvoraussetzungen für produktives Arbeiten gegeben sind.

 

“Es lohnt sich, Pausen komplementär zu den Arbeitstätigkeiten zu gestalten: Wer vor allem allein am Bildschirm sitzt, könnte z.B. mittags mit Kollegen einen Spaziergang an der frischen Luft machen und kombiniert so alle drei Faktoren, die als besonders erholsam gelten: Sozialkontakt, Natur und Bewegung.”

 

iafob: Pausen sind also als Ausgleich zu Beanspruchungsphasen für den Erhalt von Leistung und Gesundheit von zentraler Bedeutung. Welche Möglichkeiten zur sinnvollen Pausengestaltung im Büro gibt es?

Dr. Hannah Schade: Da ist viel ungenutztes Potential, denn vielen Menschen fehlt es an „break literacy“, also zu wissen, was ihnen gut tut. Allgemein lohnt es sich, Pausen komplementär zu den Arbeitstätigkeiten zu gestalten: Wer vor allem allein am Bildschirm sitzt, könnte z.B. mittags mit Kollegen einen Spaziergang an der frischen Luft machen, und kombiniert so alle drei Faktoren, die als besonders erholsam gelten: Sozialkontakt, Natur und Bewegung.

Und dann lohnt es sich auch, regelmäßig fünf Minuten aufzustehen, aus dem Fenster zu schauen, Geist und Augen ruhen zu lassen, oder bewusst den Gang zu Toilette oder Wasserspender mit Lockerungs- oder Dehnübungen zu verbinden.

 

iafob: Seit vielen Jahren liegen die Erkenntnisse vor, dass Pausen und Bewegung wichtig sind, um ohne gesundheitliche Probleme die Arbeit bewältigen zu können. Warum wird aus dem Wissen bei den Mitarbeitenden kein Handeln?

Dr. Hannah Schade: Leider wird aus Wissen nicht immer Bewusstsein, und selbst dann ist der Weg zur Verhaltensänderung oft weit – Routinen und „Haltungen“ zu ändern, im wahrsten Sinne, ist ein anspruchsvoller Prozess, der sehr aktiv gesteuert werden muss und oft der alltäglichen Geschäftigkeit zum Opfer fällt.

Dazu kommt, dass die wenigsten Betriebe eine Gesundheitskultur haben, so dass man kaum Unterstützung von KollegInnen bekommt, die ergonomisches Arbeiten vorleben oder einen darauf aufmerksam machen, wenn man zu lange keine Pause gemacht hat.

 

iafob: Sie sind bei unserer Jahrestagung in Offenburg dabei. Welche Erkenntnisse werden die Teilnehmenden mit nach Hause nehmen? Werden sie in Zukunft weniger Stress empfinden?

Dr. Hannah Schade: Ich hoffe, sie werden noch motivierter sein, selbst auf Erholung und Ergonomie zu achten und entsprechende Routinen in ihren Arbeitsalltag zu integrieren – und auch in ihren Organisationen auf ein größeres Bewusstsein für Gesundheit hinzuwirken.

Wer die Möglichkeit hat, jederzeit bei Bedarf zur Toilette zu gehen, hat auch die Möglichkeit, Kurzpausen zu machen, ohne den Betriebsablauf zu stören, und in einer neuen Haltung bewusst den nächsten „Sprint“ der Arbeitsbewältigung einzulegen.

Das begrenzt den Rahmen, in dem der Einzelne seine Arbeitsgesundheit optimieren kann. Aber natürlich lohnt es sich, alles zu tun, was der Gesundheit dient, auch kleine Veränderungen können einen großen Unterschied machen. Und zur Mitwirkungspflicht gehört eben auch, dem Arbeitgeber zurückzumelden, was alles noch getan werden müsste, sprich: den Rahmen zu erweitern.

 

“Der Zusammenhang von Gesundheit und Leistungsfähigkeit sollte so ernst genommen werden, dass Ergonomie und Erholung als relevante Wirtschaftsfaktoren in der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft gelebt werden.”

 

Unternehmen sollten stärker in die Verantwortung genommen werden müssen, ihrer Fürsorgepflicht für die Gesundheit der Mitarbeitenden nachzukommen. Denn das begrenzt den Rahmen, in dem der Einzelne seine Arbeitsgesundheit optimieren kann. Aber natürlich lohnt es sich, alles zu tun, was der Gesundheit dient, auch kleine Veränderungen können einen großen Unterschied machen, und zur Mitwirkungspflicht gehört eben auch, dem Arbeitgeber zurückzumelden, was alles noch getan werden müsste, sprich: den Rahmen zu erweitern.

Allerdings hilft jedes Quäntchen mehr, das man in seine Gesundheit investiert, und von daher hat jede:r Einzelne auch eine Mitwirkungspflicht in der Betriebsgesundheit und sollte davon auch aktiv Gebrauch machen.

Jede:r Einzelne kann und muss auf seine Gesundheit achten, denn niemand sonst kann so gut einschätzen, was man gerade braucht, ob das eine Stretchpause ist oder mehr Feierabendhygiene. Kurzpausen kann einem niemand verbieten

 

Über Dr. Hannah Schade:

Dr. Hannah Schade, TU Dortmund
Dr. Hannah Schade, TU Dortmund

Dr. Hannah Schade ist promovierte Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund.

U.a. untersucht derzeit sie die Auswirkungen von Homeoffice während der Corona-Pandemie und wie sich das Arbeiten von zu Hause auf das Wohlbefinden und die Produktivität von Beschäftigen auswirkt.