Etwa 15 Millionen Büroarbeitende gibt es in Deutschland und ein großer Teil davon arbeitet seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 daheim. Homeoffice, von der Regierung als Pflicht eingeführt für alle Bereiche, in denen es möglich ist, wird eines der Mittel zur Pandemiebekämpfung. Der Küchentisch wird zum Schreibtisch. Und siehe da, es funktioniert. Auch so wird gearbeitet, mehr als zuvor.
Zwei Jahre Pandemie haben zweierlei bewiesen: Erstens im Homeoffice wird hart und produktiv gearbeitet, oft sogar mehr als im Büro. Die Begeisterung für die Aufgabe ist unabhängig vom Ort.
Und zweitens: Für manche Aufgaben braucht man das Unternehmen nicht, weder Kolleg:innen noch Vorgesetzte noch Spezialausrüstung. Konzentriertes und fokussiertes Arbeiten lassen sich besser im Homeoffice durchführen, es gelingt besser, sich bewusst mal aus dem Kommunikationsfluss zurückzuziehen.
Viele Aufgaben erledigt man am besten allein und spart sich auch noch die unbezahlten und stressigen Stunden unterwegs auf der Straße oder Schiene. Millionen Menschen haben in den zurückliegenden Monaten erlebt, dass es so ist. Sie werden sich nicht mehr das Gegenteil einreden lassen.
Gruppendynamische Effekte finden nicht statt, wenn man sich nur am Bildschirm begegnet.
Zwei Jahre Pandemie haben ebenfalls bewiesen, dass Homeoffice allein meist nicht optimal ist. Das “sich in die Augen schauen“, das einander Vertrauen, kann sich nicht aufbauen. Gruppendynamische Effekte finden nicht statt, wenn man sich nur am Bildschirm begegnet. Projekte kommen mit Sicherheit langsamer voran. Die Qualität der Entscheidungen, die in einer Videokonferenz gefällt werden, ist eine andere.
Man hat mehr Arbeit im Homeoffice, dafür weniger Kontakte. Manche Aufgaben werden einfacher, wenn man sich mit Kolleg:innen austauscht, statt allein darüber zu brüten oder womöglich noch nebenbei Kinder zu betreuen. Um Ideen zu Innovationen werden zu lassen, braucht es den Austausch zwischen Menschen. Viele arbeiten daheim zudem länger, Arbeits- und Privatleben verschwimmen, wenn alles am selben Ort passiert. Das erleben viele inzwischen als Belastung.
Der Arbeitsort Büro hat einen ganz neuen Reiz entwickelt
Das Büro ganz aufzugeben und die Miete zu sparen wäre also unklug, denn daheim verlieren die Beschäftigten die Bindung ans Unternehmen. Die Identität mit dem Unternehmen leidet, Innovationskraft und Unternehmenskultur gehen verloren. Viele wollen auch zurück ins Büro, wenn auch nicht unbedingt jeden Tag.
Aber wie müssen die passenden Orte fürs Arbeiten außer Haus aussehen?
Dazu muss sich das Büro verändern, weg von einem Ort, an den die Mitarbeitenden hingehen, um Arbeit zu erledigen, hin zu einem Ort, an den sie gern kommen und der einen persönlichen Mehrwert für sie schafft.
Soziale Orte als Kontrast zum einsamen Homeoffice. Orte mit Identität anstelle namen- und gesichtslosem Office Design. Orte, die für Kreativität, Offenheit und Begegnung stehen. Orte, die man gern aufsucht, auch wenn man nicht muss.
„Bürogebäude“ müssen so attraktiv werden, dass die Menschen hier nicht nur arbeiten, sondern auch leben wollen. Alles soll nachhaltig sein, gebaut nach modernsten Niedrigenergie-Standards. Mit Pflanzen und Naturelementen wie Holz und „grünen“ Möbeln wird ein Wohlbefinden erreicht.
Und wenn alle darüber hinaus wissen, dass man sich als Team an einem oder zwei Tagen in der Woche im Büro trifft und austauscht, stärkt das die sozialen Bindungen. Und es stärkt die Bindung ans Unternehmen, an Kolleg:innen, daheim sinkt die Hemmschwelle sich woanders zu bewerben.
Rechtsanspruch auf Homeoffice ist ausgelaufen
Im März 2022 lief der Rechtsanspruch auf Homeoffice aus. Jetzt wieder zurück zum präpandemischen “business as usual”, also fünf Mal die Woche pendeln und eine Bürowelt von neun bis fünf?! Zwei Drittel aller Firmen wäre es das liebste so, heisst es vom Arbeitgeberverband BDA. Aber immerhin ein Drittel scheint das anders zu sehen, denn von vielen Unternehmen wurde es als ein Element des Flexiblen Arbeitens schon lange vor der Pandemie eingesetzt.
Heute glaubt kaum noch einer, dass es wieder so wird wie vorher: den ganzen Tag im Büro sitzen und das jeden Tag. Das war gestern. Morgen wird es anders sein, nur wie?
Wenn es also das alte Büro nicht sein soll, nur das Homeoffice aber auch nicht, was dann? Noch mehr Flexibilität und ein bisschen mehr Freiheit wäre ein Anfang, gepaart mit klaren Regeln. Jede:r kann ein Stück weit entscheiden, wann und wo er oder sie arbeitet.
Wie könnte es weitergehen?
Dazu ein paar Zitate aus einer kürzlichen Diskussion im flexible.office.network:
- Ich persönlich denke, dass die Diskussion „Office vs. Homeoffice“ durch ist und eine ganz andere Diskussion, nämlich „Unternehmen vs. Arbeitnehmerrechte“ beginnen wird.
- Die Frage, ob sich jemand zwei Stunden oder auch nur 20 Minuten zum E-Mails lesen im Office in den Stau stellt, wird zeitnah eine Frage sein, wie sich dieser Wert von Hochqualifizierten weiter entwickelt.
- Ich glaube nicht, dass Arbeitnehmende sich von Aussagen des Arbeitgeber wie “Wenn du in Bali lebst, dann zahle ich dir auch nur ein balinesisches Gehalt” langfristig einschüchtern lassen. Klar sind das aktuell nur Angebote/Trends für bestimmte hochqualifizierte Mitarbeitende.
- Wir leben in einer globalen Arbeitswelt und Knowhow von hochqualifizierten Mitarbeitenden ist viel Wert und stellt bestehende Standards in Frage. Das ist natürlich nicht für produktive Bereiche relevant, aber aus meiner Sicht für alle heiß umkämpften „IT-Fachkräfte“, etc., die eben auch von Produktionsunternehmen gesucht werden.
- Hier wird nicht mehr gefragt, ob es ok ist, sondern nur wie es funktioniert: „Ich plane im April zwei Wochen von Buenos Aires aus zu arbeiten. Kannst du mir sagen, ob ich von dort aus meine Pulse-Secure Verbindung aufbauen kann?“
- Begeisterung hat der Hochqualifizierte für das, was er in „Freiheit“ von Regelungen tut, nicht für einen Ort, nicht für eine schicke Eingangshalle, für ein schickes Büro.
- In jedem Bewerbungsprozess kommt bei uns aktuell die Frage „Wie sieht bei Euch die Arbeitswelt nach dem 20.3. aus?”
- Die Beharrungskräfte in vielen Unternehmen werden sich dagegen stemmen, gegen den Wandel und sie vergraulen damit die Hochqualifizierten. Besitzstandswahrung bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sind stark ausgeprägt.
- Die Relevanz eines Unternehmens-Office / Standorts ist nachhaltig in Frage gestellt! Es ist super spannend und der Ausgang bleibt offen.
Einige Beispiele aus der Praxis
- Eine Projektleiterin eines Fachhändlers aus Stuttgart lebt seit ca. neun Monaten in Kanada und arbeitet von dort im Homeoffice. Ihr Lebenspartner hat dort einen neuen Job gefunden. Sie kommt alle 4-6 Wochen nach Stuttgart und arbeitet dann für eine Woche im Office. Sie wohnt dann in einem Hotel. Ihr Arbeitgeber will sie als Mitarbeiterin nicht verlieren. Alle Beteiligten sind zufrieden, das funktioniert sehr gut.
- Ich habe in München einen Wohnungsnachbarn, der vor über drei Jahren nach München kam. Seit knapp zwei Jahren war er jetzt im Homeoffice. Er zieht wieder zurück nach Norddeutschland, ohne das Unternehmen zu verlassen.
Er ist SW-Entwickler und ging immer ins Büro und hat dort mit seinen Arbeitspartnern in Asien und USA kommuniziert, nur nie mit den Kolleg:innen, mit denen er im gleichen Büro saß. Die knapp zwei Jahr im Homeoffice haben ihm gezeigt: Für seine Arbeit braucht er nicht den Ort. Er hat sich jetzt entschlossen, das teure München wieder zu verlassen, seinen Job kann er von überall machen. - Mein jüngster Sohn, Vater eines Einjährigen hat vor einem Jahr den Arbeitgeber gewechselt (und er hatte sich mein Arbeitszimmer schon angeeignet – wegen Corona) und es war für ihn wichtig einen neuen Job zu finden, wo Homeoffice absolut Usus ist.
Bewerbung und Einstellung: alles online! Im Vertrag hat ihn die Firma dann gefragt, wie er sich das in Zukunft vorstellt. Wenn er mehr als drei Tage Homeoffice mache, dann stünde ihm kein fester Arbeitsplatz zu, dann muss er, falls er reinkommt, sich einen suchen. Er hat sich natürlich für mehr Homeoffice ohne festen Arbeitsplatz entschieden, da er nicht fahren will, öffentlich schon gar nicht und seinen Sohn auch aufwachsen sehen will. Nun, nach der Probezeit, hat er als weitere Bedingung gestellt, dass weiter für ihn Homeoffice als Grundprinzip gilt, was akzeptiert wurde und dass er auf 36 Stunden reduzieren kann, auch das wurde akzeptiert.
- Meine älteste Tochter, die in einer Webagentur als Art Director ist, hat leider das Gegenteil erlebt. Sie hat keinen Laptop, sondern einen großen Rechner und wird dann immer mal wieder (trotz immer wieder Corona in der Firma ) hereinbeordert. Das sieht so aus, dass ihr Mann am Sonntag alles abholen muss, großen Rechner, Bildschirm und am Freitag dann umgekehrt wieder alles nach Hause karrt.
Die Microsoft Deutschland ERFOLGSFAKTOREN für eine hybride Arbeitswelt
Quelle: Claudia Hartwich, General Manager Human Resources, Microsoft Deutschland
- Die Rolle des Büros neu denken
35 Prozent der Microsoft-Mitarbeitenden gaben in einer Befragung an, dass ihre grösste Herausforderung darin bestehe, zu wissen, wann und warum sie ins Büro kommen sollen.
- Das Büro ist der Ort für Austausch und persönliche Kontakte
- Raum schaffen für zufällige Begegnungen und spontane Treffen
- Regeln für effektive Zusammenarbeit von Remote Work und der Arbeit vor Ort
- Jedes Meeting sollte hybrid sein und Relevantes nur während gemeinsamer Termine besprochen werden
- Beziehungsarbeit ist gefragt
47 Prozent der Microsoft-Mitarbeitenden gaben an, dass sie seit der Umstellung auf hybride Arbeitsformen weniger Freundschaften am Arbeitsplatz haben.
- Dem Aufbau von Beziehungen muss in der neuen Arbeitswelt verstärkt Priorität eingeräumt werden
- Führungskräfte sollten daran arbeiten, Silos aufzubrechen und den Austausch untereinander fördern
- Interaktive Formate, Breakout-Sessions und digitale Kaffeepausen können dabei helfen
- Flexibilität braucht Empathie und Vertrauen
Die Arbeit am Feierabend hat um 28 Prozent, am Wochenende um 14% Prozent zugenommen (Produktivitätstrend in Microsoft 365).
- Führungskräfte sollten daran denken, die Gesundheit ihrer Beschäftigten nicht aus den Augen zu verlieren
- Empathie, Vertrauen und ein regelmäßiger Austausch sind wichtig
- Aktiv zuhören, sich gedanklich in den Mitarbeitenden hineinversetzen und daraus eigenes Handeln ableiten, sind dafür notwendig
- Das Warum zählt
12 Prozent der Mitarbeitenden haben ihre Jobs in 2021 gekündigt. Gründe: persönliches Wohlbefinden, psychische Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
- Die Sinnfrage ist für die Mitarbeitenden essenziell geworden
- Führungskräfte müssen verstehen, was es für mehr Zufriedenheit der Mitarbeitenden braucht
- Gemeinsame Lösungen sollten für die Auflösung der genannten Kündigungsgründe erarbeitet werden
- Führungskräfte stehen vor grossen Herausforderungen
51 Prozent der Leitenden Angestellten in Deutschland bezweifeln, dass die Unternehmensleitung die Erwartungen der Mitarbeitenden kennt. 66 Prozent sagen, sie hätten nur mangelhaften Einfluss auf die Bereitstellung von Ressourcen, um Veränderungen für ihr Team umzusetzen.
- Die hybride Arbeitswelt lässt sich nur mit der Unternehmensleitung umsetzen
- Die Unternehmensleitung muss die für eine Vertrauenskultur erforderlichen Fähigkeiten entwickeln
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), Homeoffice Experience 2.0
Quelle: Milena Bockstahler, Mitja Jurecic, Stefan Rief (IAO)
Veränderungen, Entwicklungen und Erfahrungen zur Arbeit im Homeoffice während der Corona-Pandemie, Ergebnisse der Befragung von 1.700 Beschäftigten zwischen Mai und August 2021.
- Austausch mit Kolleg:innen als Motivation für eine Rückkehr ins Büro
Die Möglichkeit auf Kommunikation, Kollaboration und Zusammenarbeit mit Kolleg:innen und die Chance, sich informell auszutauschen, sind der häufigste Grund, weshalb es die Mitarbeitenden ins Büro zieht.
- Trotz des starken Wunsches nach Austausch werden auch Rückzugsorte benötigt
- Befürchtungen bestehen, dass im Büro eher Störungen bestehen und dass man aus dem Flow gerissen wird
- Damit der Austausch erfolgen kann, müssen auch die anderen vor Ort sein, womit sich die Mitarbeitenden gegenseitig ins Büro ziehen; wenn das nicht gelingt, müssen hybride Besprechungs- und Projekträume sowie eine offen Lounge vorhanden sein
- Erlebnisangebote für das soziale Zusammenkommen und zur Förderung der Kreativität sind anzubieten
- Empfundene Produktivität bei Arbeiten von zu Hause nimmt zu
In der Studie vom Dezember 2020 gaben 39 Prozent, in der Befragung von August 2021, 44 Prozent an, dass sie zu Hause produktiver sind. Der Anteil jener, die im Büro produktiver sind, hat von Dezember 2020 zu August 2021 von 15 Prozent auf 30 Prozent zugenommen. Die Zahl der Befragten, die zwischen beiden Arbeitsorten keinen Unterschied sehen, hat von 43 Prozent auf 26 Prozent abgenommen.
- Die Mitarbeitenden teilen sich im Hinblick auf den Arbeitsort und die Produktivität in zwei deutlich polarisierende Lager
- Je besser die ergonomische und technische Ausstattung ist, desto mehr Tage wollen die Mitarbeitenden von zu Hause aus arbeiten. Technische Ausstattung ist noch wichtiger als Ergonomie
- Homeoffice stärkt die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
Trotz der Polarisierung in Bezug auf die Produktivität geben sowohl diejenigen, die bevorzugt im Homeoffice arbeiten wollen als auch diejenigen, die das Büro vorziehen, an, dass sie seit der Pandemie Beruf- und Privatleben besser miteinander vereinbaren können.
- Dienstag ist mit 55 Prozent der beliebteste, Freitag mit 32 Prozent der unbeliebteste Büroarbeitstag
- Wie muss der Bürostandort sein, damit die Mitarbeitenden ins Büro kommen
- An erster Stelle steht eine gute infrastrukturelle Anbindung; an zweiter Stelle eine gute Verpflegung. Es folgen Erholungs- Einkaufs- Sport- und Betreuungsmöglichkeiten = Attraktivität des Büros
- Rückkehrbereitschaft ins Büro ist unabhängig vom Alter. Einzig die Gruppe der 50 -59-Jährigen zeigt eine leicht höhere Rückkehrbereitschaft
Fazit
Es ist und bleibt alles also widersprüchlich. Wir werden leben und arbeiten, wir werden forschen und produzieren, und das alles vernetzt miteinander, alles nah beieinander. Wir benötigen weniger Raum, wollen kurze, zeit- und kostensparende Wege, einen engen Kontakt mit den Mitmenschen. Und wir wollen einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.
Denn Arbeit ist nicht mehr das, …
… was man hat, sondern das, was man tut.
… wohin man geht, sondern das, was man sich gestaltet.
… was man erledigt, sondern das, was man sich immer wieder selbst erschließt.
Über den Autor
Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) und Leiter des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen.
Als Dozent lehrte er an der Fachhochschule Salzburg und der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Führungsverhalten und Future Work & Workplace Design.
Der Diplom-Psychologe ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und
Mitherausgeber der Buchreihe „Flexible Arbeitswelten“.