Ein positives Arbeitsumfeld erzeugen – real und virtuell

Organisationen haben in den Jahren der Pandemie – gezwungenermaßen – eine rasante Veränderung erlebt. Vieles, das vorher eher ein Privileg Einzelner war, wurde auf einen Schlag Realität – ohne lange Planung, ohne Change Management und ohne Pilotflächen und Testreihen.

Es gab keine Workshops zur Vorgehensweise, keine Aufgabenverteilung zur Umsetzung und keine Befragungen. Die Kultur der Organisation wurde nicht geplant, verändert und angepasst. Sie musste die Krise aushalten und hat das meist ohne Probleme ganz gut überstanden.

Wie kann eine Organisation dazu beitragen, dass Menschen sowohl real als auch virtuell gut miteinander arbeiten können?

Vizepräsident Oliver Jahraus von der LMU in München sagt: „Wir werden nie wieder zu einem Zustand zurückkehren wie vor Corona. Dazu hat sich zu viel verändert.“ Wir werden uns in Zukunft also immer fragen, was wir sinnvollerweise im Büro machen und was zuhause oder an dritten Orten. Es wird viel mehr um menschenzentrierte Orte für die Arbeit gehen.

Geht man ins Büro so fragt man sich: „Warum bin ich hier und was kann ich hier lernen?“ Es geht zwar um Leistung, aber vor allem auch um die eigene Potentialentfaltung.

In Zukunft möchte die Hälfte der Erwerbstätigen selbst entscheiden, wann und wo sie arbeitet und wie sie ihre Arbeit und die Zeit dafür einteilt. Ein Drittel der Befragten einer Stepstone-Umfrage möchte eine feste Vereinbarung zu Home-Office-Tagen. 30 Prozent Home-Office heißt einerseits aber auch Desk Sharing und andererseits bedeutet dies Entfremdung: Man sieht sich nicht mehr regelmäßig und vor allem die zufälligen Treffen fehlen, die ganz besonders zu neuen Ideen inspirieren und oft die eigene Arbeit beflügeln.

Homeoffice
Foto: Unsplash | Thought Catalog

Wie kann man an unterschiedlichen Orten die gemeinsame Kultur leben und mit Kolleg:innen in Verbindung bleiben?

In Zukunft wird im Büro die richtige Balance zwischen Austausch, Teamwork, individuellen Arbeitsplätzen und Fokusarbeit immer wichtiger werden. Flächeneffizienz wird ihren Stellenwert verlieren. An diese Stelle muss Nutzereffektivität treten.

Es geht vor allem darum, die gesamte Fläche gemeinsam gut und richtig zu nutzen und die Kultur der Organisation erlebbar zu machen, sowohl real als auch virtuell. Eines ist klar geworden: Die Verteilung der Flächen wird sich in Zukunft verschieben.

“Die Zeit, die man am individuellen Arbeitsplatz im Büro verbringt, wird sich auf 30 Prozent halbieren. Der Bedarf an Flächen für Zusammenarbeit steigt hingegen von 30 auf 50 Prozent.”

Die Zeit, die man am individuellen Arbeitsplatz im Büro verbringt, wird sich auf 30 Prozent halbieren. Bereits vor der Pandemie war dies meist nicht mehr als 60 Prozent, wie zahlreiche Flächennutzungsstudien immer wieder belegt haben.

Der Bedarf an Flächen für Zusammenarbeit steigt hingegen von 30 auf 50 Prozent. Hier ist vor allem darauf zu achten, vielfältige, unterschiedliche Flächen und Räume zur Verfügung zu stellen, die sich einfach umnutzen lassen – je nach den Aktivitäten und Bedürfnissen der Nutzer.

Ebenfalls rapide steigen wird der Bedarf an Dienstleistungsflächen. Dieser war vor der Pandemie mit 5 Prozent relativ gering und wird in Zukunft eher auf 20 Prozent steigen.

Wenn man ins Büro geht, erwartet man eine gute Atmosphäre und Annehmlichkeiten, die es zuhause im Homeoffice nicht gibt. Möglicherweise –  je nach Größe der Organisation – gesunde Verpflegung, zumindest aber Obst, Getränke und ausgezeichneten Kaffee.

Diese gemeinsame Zeit in der Realität wird ergänzt durch gute gemeinsame Zeit online. Zugehörigkeit und Sinn werden durch konsistente Beziehungen zwischen Menschen, Inhalten und Orten geschaffen.

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Wie können wir uns also noch verbunden fühlen, wenn wir aus der Ferne arbeiten?

Ziel einer Arbeitswelt ist es, Wissen und Menschen zu vernetzen sowie virtuelle und reale Räume zu verbinden. In Zukunft wird man Arbeit viel bewusster planen als vor der Pandemie. Das heißt, die Menschen wählen ganz bewusst zwischen verschiedenen Arbeitsorten den jeweils richtigen Ort aus:  für die Aktivität, die Aufgabe und die eigene Befindlichkeit. Ausschlaggebend sind die individuelle Agenda, die Leistungsunterstützung und die Lernerfahrung, die man benötigt.

Arbeit wird in Zukunft differenzierter gesehen werden: gemeinsam, gesellig, allein, ungestört, mit vielen Erfahrungen, effektiv, real, virtuell, hybrid…

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“Menschen sind soziale Wesen, die zum Wohlfühlen Zwischenmenschlichkeit brauchen. Virtuelle Arbeitsumgebungen müssen diesen Raum für Zwischenmenschlichkeit schaffen.”

Menschen entfalten ihre Potentiale durch Interaktion mit anderen Menschen und mit ihrer Umgebung. Vielfältige Erfahrungen sind dabei wichtig und regen an: visuell, akustisch und haptisch. Diese Anregungen braucht es sowohl virtuell als auch real.

Menschen brauchen Fokus und Rückzug, Geselligkeit und Rituale. Dazu werden Kollaborationsräume, Labore und Kreativräume, Zwischenräume und Begegnungsräume benötigt, um in Erfahrungen eintauchen und neue, eigene machen zu können.

Menschen sind soziale Wesen, die zum Wohlfühlen Zwischenmenschlichkeit brauchen. Virtuelle Arbeitsumgebungen müssen diesen Raum für Zwischenmenschlichkeit schaffen. Abteilungen, Generationen, unterschiedlichen Hierarchien muss die Möglichkeit zu Begegnungen und zu Austausch gegeben werden. Es muss Raum für professionelle Neugier geschaffen werden.

“Tools wie Mural oder Miro können solche Zwischen- und Begegnungsräume virtuell erschaffen, wenn sie organisations- und abteilungsübergreifend angewandt und auch „ritualisiert“ genutzt werden.”

Es geht darum eine gemeinsame virtuelle Welt für die Organisation zu schaffen, die attraktiv und authentisch ist und zur Kultur der Organisation passt.

Junge wie ältere Talente müssen sich angezogen fühlen, durch die reale, aber auch die Online-Welt und sich dort (gemeinsam) wohl fühlen. Auch die virtuelle Arbeitswelt muss Wissen und Wissensträger vernetzen.

Anstatt Wissen zu speichern, muss es den anderen zur Verfügung stehen und man muss in der Lage sein, darüber zu kommunizieren, zu diskutieren und das Wissen gemeinsam zu erweitern. „Mein“ Office ist Vergangenheit – „Unser“ Büro ist die Zukunft.

Virtuelles Drees & Sommer Office
Virtuelles Drees & Sommer Office am Beispiel Frankfurt

 

Wie sich virtuelle und reale Räume verbinden lassen, zeigt das virtuelle Drees & Sommer-Büro aus Frankfurt. Im Erdgeschoß des „Mural“-Hauses kann man durch eine Tür auch in das reale Frankfurter Büro eintreten. Dort kann man zu einer Tafel gehen und mit Kolleg:innen Ideen austauschen oder diese Wandboards nutzen, um einen Workshop durchzuführen.

Virtueller Mural Workshop
Virtueller Mural-Workshop

 

Im „Keller“ des Hauses wurde in diesem Fall ein Hobbykeller eingerichtet. Hier kann man mit anderen seine Hobbys teilen, indem man Bilder oder Filme einstellt oder Bücher postet, die auch für die anderen interessant sein könnten.

Dieses virtuelle Haus hat unterschiedliche Geschosse und viele unterschiedliche Räume, die wiederum weiter verlinkt werden können zu anderen Häusern. Wie in einem realen Büro gibt es private Räume, die in der virtuellen Welt auch verschlossen werden können und so nicht jedem zugänglich sind sowie offene Bereiche, in denen jeder willkommen ist. E

s gibt Räume, in denen man sich gegenseitig mit Wissen versorgt und Materialien austauschen kann, es gibt Bereiche für Teambesprechungen, Termine und wichtige Mitteilungen, aber auch Orte für Feiern, Jubiläen oder Geburtstagsüberraschungen, wie beispielsweise ein Ständchen mit der Lieblingsmusik.

Woran sollte eine Organisation in Zukunft denken, um ihren Mitarbeiter:innen optimale Arbeitsumgebungen zur Verfügung zu stellen?

Zauberworte für die Zukunft sind Vielfalt und Funktionalität. Flächen und Räume müssen verfügbar sein und einfach zu erreichen – sowohl real als auch virtuell.

Plant man neu oder wird restrukturiert, so sollten die Mitarbeitenden die Nutzung der Flächen gemeinsam definieren und man sollte immer daran denken, dass eine Arbeitswelt ein lebendiger Organismus ist.

Bewähren sich Flächen nicht, so werden sie einfach anders gestaltet. Eine gute Arbeitswelt ist eine sich ständig wandelnde Pilotfläche, die jederzeit auf sich verändernde Bedingungen reagieren kann und muss. Menschen sind unterschiedlich und haben auch nicht jeden Tag die gleichen Anforderungen und Bedürfnisse. Darauf muss die Arbeitsumgebung vorbereitet sein und reagieren können, indem sie viele unterschiedliche Wahlmöglichkeiten bereithält. Spezifische Anforderungen müssen im Bedarfsfall optimal unterstützen werden.

Junge Mitarbeitende in einer Besprechung
Foto: Unsplash | Austin Distel

Wenn man die Zukunft vor Augen hat, haben Organisationen jetzt die Gelegenheit sich neu aufzustellen und sich um die realen und virtuellen Flächen und Erfahrungen zu kümmern.

Sozialer Austausch, zufällige Treffen und Zusammenarbeit in Teams, real und virtuell, brauchen gute Gestaltung und Umsetzung. Es gibt viele Unsicherheiten und Unbekannte in der neuen Arbeitswelt, aber eines ist gewiss: Die Erwartungen der Mitarbeiter:innen an die eigene Autonomie und an das reale und virtuelle Arbeitsumfeld werden höher sein als vorher.

Mitarbeitende wollen mehr Kontrolle über Orte und Flächen, ohne das dies mehr kostet und mehr Aufwand bedeuten muss. Individuelles, fokussiertes Arbeiten kennt jetzt viele Orte: zuhause, im Büro und an dritten Orten, je nach den Möglichkeiten des Einzelnen und den persönlichen Bedingungen und Vorlieben.

Es braucht viele verschiedene Arten von Flächen, mit einer Auswahl an realen und virtuellen Orten und Zeiten. Der Arbeitsplatz ist ein bestimmtes Gebäude und viel mehr. Er ist nicht länger ein einzelner Ort, sondern ein Netzwerk von virtuellen, physischen und „hybriden“ Orten. Dieses Ökosystem bietet flexible und bedarfsorientierte Orte, die Komfort, Funktionalität und Wohlbefinden unterstützen und den Nutzern die gewünschte Flexibilität und Variabilität sicherstellen.

Über die Autorin

Prof. Dr. Christine Kohlert ist Expertin für Lern- und Arbeitswelten der Zukunft. Sie ist langjähriges Mitglied des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen.

Sie ist außerdem wissenschaftlicher Fachbeirat für verschiedene Kongresse, arbeitet freiberuflich für verschiedene Unternehmen, beispielsweise für Drees & Sommer SE, und ist Professorin an der Mediadesign Hochschule in München.

Christine Kohlert lehrte international an diversen Universitäten, unter anderem am Massachussetts Institute of Technology in Cambridge (MIT), USA, an der UCLAS in Dar es Saalam, Tansania und arbeitete in renommierten internationalen Büros.

Die Architektin und Stadtplanerin ist Autorin zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen. „Space for Creative Thinking: Design Principles for Work and Learning Environments“ beschäftigt sich mit dem Raum als Werkzeug für ein positives Umfeld. In ihrem neuen Buch “Das menschliche Büro – The human(e) office: Hilfe zur Selbsthilfe für eine gesunde Arbeitswelt – Helping people to a healthy working environment“ beleuchtet sie mit Autor:innen unterschiedlichster Disziplinen das Umfeld und die Psychologie einer gesunden Arbeitsumgebung.