VUCA: Wie sich die Arbeitswelt verändert – Von Dieter Boch, Geschäftsführer iafob deutschland

In der Arbeitswelt erleben wir derzeit eine zunehmende Komplexität, die Auflösung alter Grenzen und die Umkehrung bisheriger Gesetzmäßigkeiten. Wir betreten eine Ära verschwimmender Organisationsgrenzen.

Der Begriff, der die schwierigen Rahmenbedingungen der Unternehmensführung am besten beschreibt, ist die Abkürzung VUCA. Zuerst wurde der Begriff vom amerikanischen Militär für die Kennzeichnung des modernen Krieges verwendet, bevor er seinen Weg in die neue Arbeitswelt fand.

VUCA steht für Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Für den Einzelnen bedeutet dies, dass er sich in einer Welt vielfacher, institutioneller Beziehungen bewegt und eine zunehmende Zahl von Identitäten ausfüllt. Die Anforderungen an Unternehmensind komplexer geworden. Wir erleben eine „Zeitscheren-Problematik“: Die benötigte Reaktionszeit bei wachsender Komplexität wird immer länger, die verfügbare Reaktionszeit bei zunehmender Dynamik immer kürzer.

Grenzen lösen sich auf zwischen Führung, Kollaboration und Einzelarbeit.

Aber das schneller zum Einsatz kommende Wissen entscheidet über den unternehmerischen Erfolg. Die Arbeit „flüchtet“ vor Regulierung, sowohl geografisch als auch in neue Arbeitsformen. Grenzen lösen sich auf zwischen Führung, Kollaboration und Einzelarbeit.

Führungsverhalten, Zusammenarbeit in verschiedenen (virtuellen) Teams und konzentriertes Vertiefen in eine Aufgabe wechseln sich ab. Ein permanenter Wechsel zwischen Coworking und Deep Work bestimmt den Arbeitsablauf und beides vermischt sich zu Deep Collaboration und Social Learning in Real und Digital Communities.

Arbeit gehört zum Leben dazu, denn ohne Arbeit ist der Mensch unvollkommen. Damit sich Menschen wohlfühlen und bei der BüroArbeit in den Flow geraten, braucht es entsprechende räumliche und organisatorische Voraussetzungen. Schaubild: iafob deutschland

Zeit als neue betriebswirtschaftliche Größe

Ewige Gewissheiten gelten nicht mehr. Nicht Vernunft bestimmt unser Verhalten, sondern vor allem Emotionen. Neurobiologen gehen heute davon aus, dass das lymbische System, das sich seit 30.000 Jahren nicht verändert hat, unsere Entscheidungen und unser Handeln bestimmt.

Erfahrung und das Wissen der älteren Generation waren früher der Motor des Fortschritts. Heute fragt der Ältere den Jüngeren, wenn er Probleme mit seinem Smartphone hat.

Alles fließt. Seit Heraklit wissen wir, dass alles fließt – heute fließt es nur schneller. Der Begriff der Zeit hat sich im letzten Jahrhundert drastisch als neue betriebswirtschaftliche Größe neben Arbeit, Kapital und Rohstoffen angemeldet.

Der technische Fortschritt hat ein Tempo aufgenommen, wie es keine Zeit in der menschlichen Geschichte gesehen hat. Zeit war noch vor zwei bis drei Generationen eine behagliche Größe. Man hatte genügend Zeit zu lernen, technische Innovationen zu begreifen und in sein Arbeitsleben zu integrieren.

“Neues“ war erstaunlich, verwunderlich, verständlich, abstoßend, willkommen und bedrohlich – aber durch eine lange Inkubationszeit verdaubar.

Wandel als einzige Konstante

Wir haben es heute mit Veränderungen zu tun, die gleichzeitig mehrere Dimensionen menschlichen Erfahrens berühren: Neue Technologien und der Einzug des Internets in die Geschäftswelt und das Privatleben haben Raum und Zeit als Barrieren einer weltweiten Kommunikation auf einen Bruchteil ihrer bisherigen Bedeutung schrumpfen lassen. Aus der Welt ist ein Dorf geworden.

Es ist heute möglich, in Echtzeit Zeuge eines Ereignisses am anderen Ende des Globus zu werden oder riesige Datenmengen in Sekundenschnelle um die Welt zu schicken. Aus vielen einzelnen Gesellschaften entwickelt sich eine Weltgesellschaft, in der technologische Vorsprünge nur von kurzer Dauer sind und der Wandel als einzige Konstante bleibt.

Diese Veränderungen zu bewältigen stellt Forderungen an unser Wissen, Denken und Verhalten des Einzelnen und innerhalb der sozialen Gruppe. Die Anforderungen werden hervorgerufen und vehement empfunden durch Quantensprünge in den Kategorien Zeit, Konsequenz (Ausmaß) und Nachhaltigkeit.

Lernen als elementarer Bestandteil der Arbeit

Nimmt man heute eine mitteleuropäische Lebenserwartung von 78 Jahren, so spielen sich diese gravierenden Veränderungen in einem Fünftel einer Lebenszeit ab. Man schätzt, dass das globale Wissen der Menschheit sich in einer Dekade verdoppelt. Das heißt, alle Erkenntnisse seit Menschengedenken – Erfindungen, Produkte, wissenschaftliche Ergebnisse – werden in nur zehn Jahren durch eine ähnliche Menge angereichert – mit Potenzialen für noch schnellere Wissenshäufung.

Heute sinkt die Halbwertzeit des Wissens dramatisch. Ein Informatiker hat nach zwei Jahren nur noch 50 Prozent des Wissens, wenn er sich nicht weiterbildet. Lernen ist elementarer Bestandteil des Arbeitens.

Bewegung statt Sitzen

Arbeitsmedizinische Erkenntnisse, die für die gewerbliche Arbeit galten, sind heute bei Büroarbeitsplätzen nicht mehr gültig. Die Ergonomie der vergangenen Jahrzehnte lehrte uns „das richtige Sitzen“. Doch die richtige Sitzhaltung gibt es nicht. Ob Muskulatur, Knochen oder Gelenke, ob Herz-Kreislaufsystem oder Hirnaktivität: Der Organismus braucht Bewegung. Im digitalen Zeitalter ist mehr Bewegung angesagt, damit Sinne und Muskeln nicht degenerieren.

Schon wer zum Telefonieren aufsteht, nimmt geistig eine andere Perspektive ein. Und das ist die Voraussetzung, um innovativ zu sein.

Bewegung ist nicht nur gesundheitserhaltend, sondern öffnet einen neuen Blick auf die Arbeitsanforderungen, erweitert den Horizont und schafft Raum im Kopf für neue Ideen. Der Großteil ihrer Ideen bekommen Mitarbeitende im Austausch mit anderen – und zwar auf den Gängen, in der Kantine, in der Kaffeeküche oder im Druckerraum. Schon wer zum Telefonieren aufsteht, nimmt geistig eine andere Perspektive ein. Und das ist die Voraussetzung, um innovativ zu sein.

Ebenso wichtig sind neu gestaltete Pausen. Auch Pausen sind Bestandteil des Arbeitens, sie sind als Ausgleich zu Beanspruchungsphasen für den Erhalt von Leistung und Gesundheit von zentraler Bedeutung. Regelmäßige Pausen – sogar wenn sie nur wenige Minuten dauern – stärken das Herz, dienen der Erholung und der individuellen Kontemplation.

Spaß & Selbstverwirklichung statt Schweiß & Stress

Die Arbeit ist nicht mehr geprägt von „Schweiß und Stress“, sondern orientiert sich an Selbstverwirklichung und Spaß. Eine Werteumkehrung bei der Frage „Warum geht ihr arbeiten“ ist erfolgt. Die junge Generation arbeitet nicht mehr für Geld, Status und Macht, sondern strebt nach Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung und einem attraktiven Arbeitsumfeld.

Andererseits gibt es eine Rückbesinnung auf alte Werte. Früher, vor Beginn der Industrialisierung, fand Arbeit in einem Kontinuum statt, von Otium (Muße) zu Negotium (=Nicht-Muße). Das Industriezeitalter erfand den Begriff der Arbeitszeit, man konnte mit Muße wenig anfangen. Und damit ist viel an Lebensqualität verloren gegangen.

Ohne Arbeit ist der Mensch unvollkommen.

und kehren damit zu dem uralten Begriff der Arbeit zurück. Ohne Arbeit ist der Mensch unvollkommen. Arbeit gibt dem Leben einen Sinn, wir schöpfen Sinn aus der Arbeit. Dazu müssen wir allerdings alle Formen von Arbeit sehen (Erwerbsarbeit, Eigenarbeit, Sozialarbeit, Bürgerarbeit, Familienarbeit).

Die Balance der verschiedenen Lebensbereiche gilt es in Einklang zu bringen. Frithjof Bergmann hat die Diskussion mit seinem Begriff „New Work“ dazu angestoßen.


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Über den Autor

Dieter Boch, Geschäftsführer iafob deutschland

Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) und Leiter des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen.

Als Dozent lehrte er an der Fachhochschule Salzburg und der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Führungsverhalten und Future Work & Workplace Design.

Der Diplom-Psychologe ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Mitherausgeber der Buchreihe „Flexible Arbeitswelten“.