Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“.
Dieser Wandel der Sichtweise drückt sich beispielsweise auch darin aus, dass eine deutsche Krankenversicherung sich schon seit Jahren nicht mehr „Krankenkasse“ sondern „Gesundheitskasse“ nennt. In den aktuellen Veröffentlichungen zu diesem Thema wird nur noch von Wohlbefinden oder Wellbeing gesprochen.
Wellbeing – Erfolgsfaktor für Unternehmen
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) wird zu Employee Wellbeing, eine neue Zielausrichtung der Gesundheitsförderung, die den Mitarbeitenden im Zentrum gesundheitsfördernder Massnahmen sieht. Nicht mehr nur Gesundheitsmassnahmen im Büro werden als Aufgabe des Betrieblichen Gesundheitsmanagements wahrgenommen. Die Erkenntnis, dass das Wohlbefinden einen messbaren Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat, gewinnt in Unternehmen an Bedeutung.
Heute ist „Wellbeing“ (35 Prozent) in deutschen Unternehmen auf dem dritten Platz der HR-Prioritätenliste von Unternehmen. Davor liegen „Gewinnen und Halten von Talenten“ (62 Prozent) gefolgt von Innovationen (59 Prozent) (Quelle: AON Global Wellbeing Studie, 2022/2023).
In der Schweiz liegt „Wellbeing“ sogar auf Platz zwei. Davor findet sich nur noch das Thema „Fachkräfte gewinnen und halten“. Damit zeigt sich in der Schweiz die gleiche Rangfolge wie in Nordamerika. Im Jahr 2024 wird in den USA der Gesundheitssektor nach einer Studie des US-Bureau of Labor Statistics der größte Arbeitgeber der USA sein.
Gesundheit ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts der wichtigste Motor für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den westlichen Industriestaaten. Der Gesundheitsmarkt gehört zu den größten Branchen der Welt. So sind seit dem Jahr 2000 zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze in den USA im Gesundheitssektor entstanden.
78 Prozent der deutschen Unternehmen geben an, Wellbeing-Initiativen zu planen. Bei 66 Prozent laufen bereits entsprechende Massnahmen. Allerdings bewerten nur 14 Prozent der Befragten ihr Employee Wellbeing mit der Note „sehr gut“ oder „gut“. 29 Prozent bewerten die gesundheitsfördernden Massnahmen ihres Unternehmens noch als „durchschnittlich“ oder „schlecht“. In Europa liegt die Bewertung mit 44 Prozent für „sehr gut“ oder „gut“ und weltweit mit 46 Prozent deutlich höher.
Wellbeing – Verantwortung fängt bei sich selbst an
Die ständige Anspannung, die viele in beruflicher wie privater Arbeit erleben, hat auch unmittelbare Konsequenzen für Wohlbefinden & Gesundheit.
Unvollständige Erholung ist ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Mortalität (Kivimäki et al., 2006). Bei jedem vierten Angestellten kommt es häufig vor, dass er bei der Arbeit auf Pausen verzichtet (BiBB/BAuA). Im Vergleich klagen Beschäftigte, die häufiger auf Pausen verzichten, über mehr Kopfschmerzen und Beschwerden (DGB, 2016).
Wer hingegen mehr Urlaub macht, hat ein geringeres Mortalitätsrisiko (Gump & Matthews, 2000).
Nach einer Studie der Harvard University befinden wir uns beim langandauernden konzentrierten Denken in einer neurologischen Kontraktion, einer Anspannung des Nervensystems. Hält dieser (Denk-)Zustand über einen längeren Zeitraum an, haben wir nur 50 Prozent unserer neuronalen Zellen im Gehirn zur Verfügung (zitiert nach Prof. Froböse, Sporthochschule Köln).
Wir müssen das Faulenzen im Homeoffice wieder lernen. Wann ist also Feierabend für berufliche und private Arbeit?
Unser Gehirn braucht Erholung. Erholungserfahrungen hängen mit verschiedenen Indikatoren von Wohlbefinden und Gesundheit zusammen (Sonnentag & Fritz, 2007). So sagt das „Erholt-Sein“ nach dem Wochenende die Aufgaben- und kontextuelle Arbeitsleistung während der folgenden Woche vorher (Binnewies et al., 2010).
Auch die Erholung durch Pausen sagt Leistung nach der Pause vorher (Trougakos et al., 2008).
Machen wir also Pause: Pause vom beruflichen wie privaten Arbeiten – dann gelingt die Arbeit auch nach der Pause mit weniger Energie und wir haben auch mehr Ideen.
Was macht eine erfolgreiche Erholung aus?
- Abschalten von der beruflichen wie privaten Arbeit
Wir sollten versuchen, Abstand von den Gedanken zu gewinnen, die uns durch kognitive Defusion immer wieder zur Arbeit einfallen. - Entspannung (Yoga, Powernapping)
Bereits zehn Minuten Schlaf reichen zum Ausruhen des vegetativen Nervensystems. Die kleine Schlafpause dient dazu, den Körper zu entlasten, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen, Stress abzubauen. Im Übergangsbereich zwischen Schlafen und Wachsein (nach innen gerichtetes Bewusstsein) sind Alpha-Wellen (7 – 14 Hertz) aktiv, die in erhöhtem Masse Erinnerungen und Erfahrungen im Gedächtnis aktivieren und verarbeiten. Dabei können sich kreative Ideen entwickeln. - Mastery-Erlebnisse
Wir sollten Aktivitäten oder Aufgaben durchführen, die bisher gut gelungen sind und bei denen wir uns hinterher kraft- und energievoll gefühlt haben. Durch solche „Mastery-Erlebnisse“ machen wir die Erfahrung, etwas zu meistern. Wir erleben uns als kompetent und erfolgreich. - Kontrolle
Wir sollten Rituale einführen und einhalten und Aktivitäten zeitliche festsetzen und begrenzen.
Wellbeing und hybride Arbeit
Viele vermischen im Homeoffice Privates und Berufliches. Das löst Stress aus. Denn eine Pause bei der beruflichen Arbeit ist nicht dazu da, schnell mal „zwischendurch“ Wäsche zu waschen oder das Essen vorzubereiten.
Die zunehmende Selbstorganisation bei hybrider Arbeit geht mit mehr Verantwortungsübernahme einher. Wenn Mitarbeitende Verantwortung für Arbeitsergebnisse übernehmen, gehen sie phasenweise über ihre Leistungsgrenzen hinaus. Das Modell freier Selbstverantwortung birgt Gefahren. Viele Mitarbeitende haben das alte Nine-to-five-Schema lediglich gegen eine zermürbende 24/7-Verfügbarkeit eingetauscht. Freiheit und Flexibilität braucht harte Grenzen.
Wellbeing ist ein wichtiges Handlungsfeld für die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Es hat eine physische, emotionale und soziale Komponente, aber auch eine finanzielle Dimension.
Schon 2010 hat ein nordamerikanisches Unternehmen nach Berechnungen einer Studie der University of Michigan in neun Jahren 4,8 Millionen Dollar eingespart durch die Reduzierung der Ausfalltage (ergonomische Büromöbel, Betriebssport, Gesundheitsvorsorge-Untersuchungen).
Wieviel mehr könnte heute eingespart werden, da die durchschnittliche Abwesenheit von rund 33 Tagen im Jahr 2020 auf rund 48 Tage im Jahr 2021 in Deutschland angestiegen ist (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage, 2023)?
Mentale und emotionale Gesundheitsschäden sind der Hauptgrund für diesen Anstieg. Arbeitsausfälle wegen Depression, Angststörungen und chronische Erschöpfung haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die Zahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen hat 2021 in Deutschland einen Höchstwert von 126 Millionen erreicht.
Und das, obwohl in dieser Zeit viele Mitarbeitende im Homeoffice waren. Gesunde Arbeitsbedingungen im Büro sind nicht ausreichend für Gesundheit im Job.
In einer Studie des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (2023), in der mehr als 1.000 Unternehmen und Organisationen des Öffentlichen Dienstes in Deutschland befragt wurden, gaben 40 Prozent an, dass Belastungen wie Burnout, Überforderung und Depression die häufigste Krankheitsursache für Arbeitsausfall sind und weiter zunehmen werden.
Dabei sollte doch Homeoffice die „Work-Life-Balance“ verbessern. Antwort gibt eine Studie der Zeag GmbH (2023), in der 41 Prozent der Mitarbeitenden sich durch die Arbeit im Homeoffice in einer „ungesunden bzw. gesundheitsbedrohlichen Situation“ sehen.
Begeisterung und Kreativität sind der Treibstoff, Wellbeing ist die Grundvoraussetzung für optimale Arbeitsergebnisse. Wir müssen die Arbeitsbedingungen – auch im Homeoffice – so gestalten, das physische und psychische Beanspruchungen nicht zu Leistungsabfall und mangelndem Wohlbefinden führen.
Weitere Veröffentlichungen von iafob deutschland zum Thema WOHLBEFINDEN:
Hybrides Arbeiten: Wie Mitarbeitende, Unternehmen, Umwelt und Gesellschaft davon profitieren
Was hat das Streben nach Gesundheit mit der Zukunft des Büros zu tun?
Welche Auswirkungen hat das Homeoffice auf die Gesundheit?
Über den Autor
Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) und Leiter des internationalen Flexible.Office.Network., einem überbetrieblichen Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zur BüroArbeitswelt von Morgen. Als Dozent lehrte er an der Fachhochschule Salzburg und der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Führungsverhalten und Future Work & Workplace Design. Der Diplom-Psychologe ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und
Mitherausgeber der Buchreihe „Flexible Arbeitswelten“.