Claudia Repp, Corporate Real Estate Lead bei Accenture: „Wir möchten einen Ort schaffen, an dem wir Menschen, Daten und Technologie miteinander verbinden“

Claudia Repp, Accenture

Claudia Repp ist Corporate Real Estate Lead für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Accenture. Die studierte Betriebswirtin verantwortet die Immobilien der international agierenden Unternehmensberatung im deutschsprachigen Raum.

Sie ist in diesem Jahr Gastgeberin der Jahrestagung des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung, die auf dem Campus Kronberg von Accenture stattfinden wird. Claudia Repp stellt am 26. November 2019 ihr „Wohnzimmer“ für die Teilnehmer zu Verfügung und wird eine Barcamp-Session auf der Jahrestagung moderieren. Wir sprachen vorab mit ihr über Büroplanung 2025 und warum ihre Kollegen trotz Home Office und Remote Work gern ins Büro kommen.

IAFOB:
Sie verantworten die Immobilien der Unternehmensberatung Accenture im deutschsprachigen Raum. Wie haben sich die Anforderungen an Büroumgebungen in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht verändert?

Claudia Repp:
Accenture hat schon immer ansprechende und inspirierende Arbeitsplätze geschaffen. Früher mit dem Fokus zu repräsentieren und einen produktiven Arbeitsplatz für unsere Berater zur Verfügung zu stellen.

Accenture setzt sich für eine Welt ein, in der es sich besser arbeiten und leben lässt. Unsere Arbeitsumgebungen sollen dabei unterstützen, diesen Ethos zum Ausdruck zu bringen. Heute möchten wir einen Ort schaffen, an dem wir Menschen, Daten und Technologie miteinander verbinden. Hierbei stehen der Mensch und das Erlebnis, die User Experience, im Vordergrund.

IAFOB:
Sie haben das Accenture Headquarter in Kronberg aufwendig renoviert. Was ist das Besondere daran?

Claudia Repp:
Der Campus Kronberg ist mittlerweile 16 Jahre alt und die alten Arbeitsplatzkonzepte passten nicht mehr zu unserer aktuellen Art zu arbeiten. Mit der Renovierung haben wir eine Umgebung geschaffen, in der sich Mitarbeiter, Kunden, Besucher und auch Recruiting-Kandidaten gerne aufhalten. Hier können sie Accenture und unsere Art zu arbeiten unmittelbar erleben.

IAFOB:
Home Office, Remote Work und Beratertätigkeiten beim Kunden – Warum kommen Ihre Kolleg*innen trotzdem gern ins Büro?

Claudia Repp:
Unsere Arbeitsplätze sind nicht mehr nur ein Ort, um Arbeit zu erledigen. Es sind vielmehr Orte, um sich mit Klienten zu treffen und im Team in einem Co-Creation-Prozess innnovative Lösungen zu entwickeln. Unsere Arbeitsumgebungen unterstützen dies mit einer Atmosphäre, die zum Verweilen einlädt und mit Technologie, die Kollaboration unterstützt.

IAFOB:
Der Mutterkonzern von Accenture sitzt in den USA. Welche Einrichtungstrends schwappen von dort zu Ihnen herüber?

Claudia Repp:
Accenture ist ein globales Unternehmen und viele Impulse fließen in unsere Arbeitsplatzkonzepte ein. Die wichtigsten dabei sind die Bedarfe der unterschiedlichen Nutzer und Geschäftseinheiten. Durch einige Akquisitionen in den letzten Jahren haben sich die Bedarfe der verschiedenen Nutzergruppen stark verändert und sind vor allem vielfältiger geworden.

IAFOB:
Stichwort Büroplanung 2025: Was wird sich aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren verändern?

Claudia Repp:
Ich glaube, dass der Mensch und das Erleben seines Arbeitsalltages weiterhin im Fokus der Büroplanung bleiben wird. Allerdings wird dies ergänzt durch Technologie und Künstliche Intelligenz. Die Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit und gleichzeitig der Faszination für die Möglichkeiten von KI werden eine Herausforderung für die Büroplanung der Zukunft sein.

Matthias Mölleney, Direktor am Future Work Forum: „Führungskräfte sind nicht mehr Superhelden, sondern Enabler, Coaches, Facilitators, Moderatoren“

Matthias Mölleney, Unternehmensberater

Ehemaliger Topmanager, Unternehmensberater und Direktor am internationalen Think Tank „Future Work Forum“ in London: Matthias Mölleney gilt als einer der europäischen Experten für die Arbeitswelt der Zukunft.

Im September 2019 erscheint sein neues Workbook „Beyond Leadership“, in dem er für ein neues Führungsverständnis plädiert und aufzeigt, wie man es konkret und einfach umsetzen kann. Agile Netzwerke bräuchten aus seiner Sicht andere Führungskonzepte als althergebrachte hierarchische Systeme.

Auf der diesjährigen Jahrestagung des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung spricht Matthias Mölleney am 26. November in Frankfurt am Main über das Führen in agilen Strukturen. Wir sprachen vorab mit ihm über die Veränderungen, die auf Unternehmen in den nächsten Jahren zukommen und wie man ihnen begegnen kann.

IAFOB:
Sie waren jahrzehntelang Führungskraft auf Managementebene in renommierten Unternehmen wie Lufthansa oder Swissair. Wie hat sich Leadership in den vergangenen Jahren verändert?

MÖLLENEY:
Die Grundlagen von Leadership haben sich eigentlich kaum verändert in den letzten Jahrzehnten. Was sich stark verändert hat, sind die Anforderungen und Ausprägungen. Heute geht es nicht mehr primär um die vertikale Beziehung zwischen «Führenden» und «Geführten», sondern um die Gestaltung von Kooperationsbeziehungen im Sinne einer aktiven Followership.

Unternehmen verändern sich seit einigen Jahren verstärkt in Richtung einer höheren Flexibilität und Entscheidungsgeschwindigkeit, was zu netzwerkartigen anstelle von streng hierarchischen Strukturen führt und zu Ausprägungen von Leadership, die eine starke Coaching-Komponente haben. Führung muss in diesem Sinne als eine Dienstleistung verstanden und gelebt werden.

IAFOB:
Welche Eigenschaften sollten Führungskräfte heutzutage mitbringen?

MÖLLENEY:
Sie müssen vor allem in der Lage sein, mit Unsicherheiten umzugehen und auch in stetigen Veränderungen immer neue Perspektiven generieren. Außerdem müssen sie sich mehr denn je ihrer Vorbildrolle bewusst sein.

IAFOB:
Im September veröffentlichen Sie Ihr neues Buch „Beyond Leadership“. Welche drei wichtigen Tipps würden Sie Führungskräften im Umgang mit ihren Mitarbeitern geben?

MÖLLENEY:

  1. Interessieren Sie sich für Ihre Mitarbeitenden, finden Sie heraus, was ihnen wichtig ist und welche persönlichen Werte sie haben.
  2. Kommunizieren Sie gut und regelmäßig mit Ihren Mitarbeitenden, geben Sie Ihnen konstruktives und wertschätzendes Feedback.
  3. Schaffen Sie eine Kultur der psychologischen Sicherheit, d.h. ein Umfeld, in dem sich alle Teammitglieder frei äußern, ohne persönlich negative Konsequenzen befürchten zu müssen – bauen Sie ständig am gegenseitigen Vertrauen zwischen allen Beteiligten.

IAFOB:
Auf der iafob-Jahrestagung 2019 werden Sie über das Führen in agilen Strukturen sprechen. Welche Unterschiede gibt es aus Ihrer Sicht zum Führen in hierarchischen Strukturen?

MÖLLENEY:
In agilen Strukturen gibt es keine rein vertikalen Führungsbeziehungen. Alle Mitarbeitenden arbeiten in netzwerkartigen und in der Regel wechselnden Strukturen, die wiederum autonom oder zumindest teilautonom gesteuert werden. Führungskräfte sind dabei nicht mehr die Superhelden, die alles wissen, alles können und alles entscheiden. Sie sind vielmehr Enabler, Coaches, Facilitators, Moderatoren usw.

IAFOB:
Als Direktor des internationalen Think Tank „The Future Work Forum“ in London beschäftigen Sie sich mit den Auswirkungen der demographischen Veränderungen auf die Arbeits- und Arbeitszeitmodelle der Zukunft. Welche großen Veränderungen erwarten uns in den nächsten Jahren? 

MÖLLENEY:
Wir sehen in Europa eine bereits begonnene Pensionierungswelle der Baby-Boomer-Generation, was zu erhöhten Anforderungen an das Wissensmanagement führt, damit die erworbenen Fachkenntnisse und Erfahrungen nicht verloren gehen. Gleichzeitig sehen wir, zum Teil bedingt durch diese Pensionierungswelle, einen dramatischen Fachkräftemangel. Das wird aber noch ergänzt durch das Phänomen, dass ein Teil der traditionellen Arbeitsplätze durch digitale Technologien ersetzt werden kann. Damit gehen aber auch Arbeitsplätze verloren, die wir früher dafür eingesetzt haben, Nachwuchsmitarbeitende auf höherwertige Spezialistenfunktionen und Führungsaufgaben vorzubereiten.

IAFOB:
Wie können Unternehmen diesen Veränderungen begegnen?

MÖLLENEY:
Wir müssen uns davon verabschieden, dass es Standardlösungen gibt. Wir müssen intensiver darüber nachdenken, was für das eigene Unternehmen wichtig und richtig ist. Wir werden dadurch eine größere Vielfalt an Organisations- und Führungsformen erleben. Das Personalmanagement wird in diesem Zusammenhang eine wichtigere Rolle spielen müssen.

Über Matthias Mölleney:

Nach 20 Jahren in den Diensten der Lufthansa, davon die letzten acht auf der obersten Managementebene, wechselte Matthias Mölleney 1998 in die Schweiz. Dort war er Mitglied der Konzernleitung und Personalchef von Swissair, Centerpulse und Unaxis. 2005 gründete er die Beratungsfirma peopleXpert gmbh in Uster. Er berät und begleitet Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen und in Fragen von Führung und professionellem Personalmanagement. Zudem leitet er seit 2009 das Center für Human Resources Management & Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich, unterrichtet an Hochschulen und ist Buchautor. Außerdem ist Mölleney Präsident der ZGP Zürcher Gesellschaft für Personal-Management und Direktor am internationalen Think Tank «Future Work Forum».

Partner für Forschungsprojekt gesucht: Flexible Büroraumgestaltung für agile Teams

Agile Teams iafob deutschland

Wie sollten Büroumgebungen gestaltet sein, dass agile Teams bestmöglich dort arbeiten können? Dies ist die Fragestellung eines neuen Forschungsprojektes von Prof. Hartmut Schulze, Leiter des Instituts für Kooperationsforschung und -entwicklung an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Olten. Das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) unterstützt das Projekt. Auch weitere Unternehmen können sich beteiligen.

Agile Teams wechseln zwischen Einzel- und Gruppenarbeit, zwischen einem fokussiert-konzentrierten und einem kreativ-assoziativen Arbeitsmodus. Dafür benötigen sie flexibel gestalt- und veränderbare Arbeitsumgebungen. Die Räum sollten sowohl eine konzentrierte Einzelarbeit (also „Deep Work“) zulassen, aber auch eine fokussierte Zusammenarbeit (also „Deep Collaboration“) ermöglichen.

„In der Praxis zeigt sich jedoch, dass ‚agile Teams‘ – beispielsweise DevOps-Teams  oder Scrum Teams – bei der Ausführung ihrer Arbeitsprozesse bisher ungenügend durch die Büroraumumgebung unterstützt werden“, so Prof. Dr. Hartmut Schulze, der auch Mitglied des flexible.office.network. ist, über die Idee, ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt zu diesem Thema zu starten.

„In der Praxis zeigt sich, dass agile Teams bisher ungenügend durch die Büroraumumgebung unterstützt werden.

Prof. Hartmut Schulze, Fachhochschule Nordwestschweiz

Häufig sind vorhandene Räumlichkeiten nicht ausreichend mit dem nötigen Equipment (Möbel, Licht, Medienausstattung) und der nötigen Technologie ausgestattet. Auch die Regeln, die für das Management der Flächen gelten, sind entscheidend für das Arbeiten agiler Teams: Nach welchen Kriterien wird die Bedarfsermittlung von Räumen bestimmt? Müssen die Räume gebucht werden? Gibt es eine Verrechnung?

Und auch die Arbeits- und Führungskultur spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg agilen Arbeitens, denn sie bestimmt die Meetingkultur. Oft erfährt das Zusammenarbeiten in Gruppen nicht die gleiche Wertschätzung in Bezug auf Produktivität und Kreativität wie Einzelarbeit. Der kulturelle Aspekt in vielen Unternehmen sieht noch allzu oft so aus: Wenn man sich trifft, arbeitet man nicht richtig.

Ziel des Forschungsprojekts ist daher zum einen die Erstellung eines Leitfadens zu tätigkeitsgerechten flexiblen Arbeits- und Bürosettings für agile Teams. Zum anderen sollen Büromöbel und Raumkomponenten entwickelt werden, die eine flexible Gestaltung von Arbeitsflächen ermöglichen. Außerdem sollen Ressourcen identifiziert werden, die bei der Gestaltung gesundheitsförderlicher agiler Arbeits- und Büroraumsettings notwendig sind.

In seinem Workshop im Juni hat das flexible.office.network. sich die Frage gestellt: Wie kann das Netzwerk diese Studie unterstützen?

Vier Themen wurden identifiziert, die in Arbeitsgruppen von den Netzwerkmitgliedern vertieft bearbeitet werden sollen. Ab dem nächsten Workshop im Oktober soll es um folgende Themenfelder gehen:

  • Agile Büroraumgestaltung:
  • Deep Work und Deep Collaboration
  • Konzentrierte Einzel- und fokussierte Zusammenarbeit

Welche Arbeits- und Führungskultur wird benötigt?
Mindset, Konzentrations-, Meetingkultur, Spielregeln der Zusammenarbeit

Es gibt immer weniger klassische Meetingräume. Stattdessen entstehen mehr Design-Thinking- oder Scrum-Räume, die flexibel einsetzbar sind. Das sind zusätzliche Räume, die man zur Verfügung haben muss, ohne dass sie jemand nutzen muss. Wenn dann im Unternehmen wegen Personalaufbaus weitere Arbeitsplätze benötigt werden, sind es dann diese Räume, die als erste „geopfert“ werden? Stattdessen werden externe Spaces gebucht? Teams werden zu externen Hubs geschickt?

Wie muss die Organisation gestaltet sein?
Management der Flächen, Spacemanagement, Buchung, Verrechnung

Wie können agile Teams einen Platz finden? Wie kann die IT integriert werden? Teammitglieder müssen sich auch zurückziehen können (z.B. Dev-Ops-Teams, also Development Operations Teams) und sich treffen können.

Lösung derzeit: Pulk-Bildung. Menschen sammeln sich an einem Platz, um über konkret ein Thema zu sprechen.

Wie werden Creative Spaces bisher in Unternehmen genutzt? Werden sie von Teams ganztägig oder über eine ganze Woche genutzt? Warum werden manche Konzepte so wenig genutzt?

Was ist hinderlich, was förderlich für agiles Arbeiten?
Technologie, Equipment, Medienausstattung

Sollten wir uns wieder mehr mit Lernwelten als Vorbild für agiles Arbeiten beschäftigen? Wie kann man Lernen / Bildung und die Art und Weise, wie gelernt wird, als Grundlage nehmen, um daraus etwas für die agile Arbeitswelt abzuleiten?

Wie kann der Prozess des Lernens / Prozess des Arbeitens stärker beachtet werden? Dies soll in einer Analyse von Lernwelten, Learning Hubs, Learning House vorgenommen werden.

Welche Elemente beeinflussen agiles Arbeiten?
Möbel, Natur, Licht

Häufige Lösung in Unternehmen: „Dann stellen wir alle Möbel auf Rollen“. Besser wäre es ein Möbelstück zu nehmen, das man in unterschiedlichen Konstellationen nutzen kann, z.B. Einzeltische, die zusammengenommen einen grossen Konferenztisch ergeben. Wir müssen diese drei Element (Möbel, Licht, Natur) abbilden und gestalten, damit der Raum als funktional und attraktiv empfunden und damit zu einer tatsächlichen Bereicherung wird.

Gesucht werden weiterhin Umsetzungspartner für die Studie. Dies können Anbieter von Raum- und Ausstattungslösungen für agile Teams sein, die Büros planen. Oder Unternehmen, die Interesse daran haben, neue Raum-Lösungen für agile Teams zu erproben. Bei Interesse nehmen Sie gern direkt Kontakt auf mit Prof. Hartmut Schulze von der FH Nordwestschweiz.

Brauchen wir Führung 4.0 für einen Wandel der Arbeitskultur? – Ein Praxisbericht von Dieter Boch, Geschäftsführer iafob Deutschland

Besprechung in Arbeitsumgebung

Die Digitalisierung bestimmt die Schlagzeilen und Unternehmen stehen unter Druck. Ihre Befürchtung: wer nicht mitmacht, wird abgehängt. Doch was kommt eigentlich auf die Unternehmen zu? Brauchen wir einen Kulturwandel, neue Führungsstrukturen, andere Formen der Zusammenarbeit? Verändert die Arbeitskultur die Führung oder ist ein neues Führungsverhalten notwendig? Brauchen wir Führung 4.0 für einen Wandel der Arbeitskultur? Das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) hat eine Organisation auf diesem Weg begleitet. Ein Praxisbericht.

Wenn der Wandel in eine neue Arbeitswelt erfolgreich sein soll, braucht es MitarbeiterInnen und Führungskräfte, die wissen, dass sich vieles verändern muss, denen aber die Digitalisierung nicht als eine Bedrohung oder als Schreckgespenst angekündigt wird. Führungskräfte und Mitarbeitende der Organisation starteten daher zunächst mit einem Kick-Off-Workshop, moderiert vom Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland). Die sachlichen Fakten standen am Anfang des Prozesses.

Worum geht es?

Mit der Erfindung der Dampfmaschine begann ca. 1750 die industrielle Revolution – die Mechanisierung war geboren. Die zweite industrielle Revolution ca. 1870 brachte mit dem Fließband die Massenproduktion. Um 1960 herum begann die dritte industrielle Revolution mit der Automatisierung durch die Informations- und Kommunikationstechnologien. Seit etwa 2008 erleben wir die vierte industrielle Revolution: die digitale Transformation. Jeder dieser Revolutionen folgten auch entsprechende Führungsstile. Angelehnt an die vierte industrielle Revolution sprechen wir von Führung 4.0.

Und somit ist auch klar: Das aufgrund der technologischen Entwicklung veränderte Arbeitsverhalten bestimmt den Führungsstil. Gleichzeitig verändert sich – in engem Zusammenhang mit der Technologie – auch die Gesellschaft. Die Digitalisierung ist zwangsläufig verbunden mit einem höheren Bildungsniveau aller arbeitenden Menschen. Gleichzeitig zwingt die Mobilität der Arbeit zur Beantwortung der Frage, wie wir die gewünschte Lebensqualität erreichen können.

Welche Veränderungen gibt es also, die sich direkt auf die Arbeitswelt auswirken?

Selbstverwirklichung und Freude statt Pflicht und Gehorsam

Da die Digitalisierung die menschliche Arbeitskraft an vielen Stellen ersetzt, bleibt dem Menschen nur noch die Erledigung kreativer Arbeitsprozesse. Zusammenarbeit findet nicht nur im realen Raum statt, sondern auch virtuell. Künstliche Intelligenz bringt eine neue ungewohnte Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch.

Der Wert der Arbeit verändert sich. War die Arbeit im Industriezeitalter geprägt von Pflicht und Gehorsam, so stehen im digitalen Zeitalter Selbstverwirklichung und Freude im Mittelpunkt.

„War das Führen früher geprägt durch Kontrolle, also Effektivität das Ziel, so ist es heute durch Steuerung und Motivation, also Effizienz, bestimmt. Morgen wird das schneller zum Einsatz kommende Wissen, also die Geschwindigkeit, zur Zielsetzung von Führungsverhalten.

Diese Veränderungen bestimmen die Zielsetzung von Führung. War das Führen früher geprägt durch Kontrolle, also Effektivität das Ziel, so ist es heute durch Steuerung und Motivation, also Effizienz, bestimmt.

Morgen lässt die digitale Transformation das Wissen schneller zum Einsatz kommen und entscheidet dadurch über den Erfolg einer Organisation. Damit wird Geschwindigkeit zur Zielsetzung von Führungsverhalten im Zeitalter von Führung 4.0.

Sinnhaftigkeit des Tuns im Mittelpunkt

Die parallel verlaufenden gesellschaftlichen Veränderungen erfordern, dass im Mittelpunkt des Führens die Sinnhaftigkeit des Tuns steht. Die Führungskraft muss dem Mitarbeitenden Freiräume zur Selbstverwirklichung aufzeigen und ihm ein attraktives Arbeitsumfeld bieten.

Nicht der von außen, von anderen, bestimmte Sinn macht die Arbeit wertvoll, sondern die Fähigkeit, einen Sinn in der Tätigkeit zu sehen. Dies gelingt aber nur, wenn die Tätigkeit als anspruchsvoll empfunden wird und größte Aufmerksamkeit verlangt. Einzelne Arbeitsschritte müssen also so portioniert werden, dass der Einzelne das Ganze erkennen kann, an dem er arbeitet. Der Mensch fühlt sich dann am wohlsten, wenn er sich in eine anspruchsvolle Aufgabe versenken kann, wenn er voll in einer Beschäftigung aufgeht.

„Der Mensch fühlt sich dann am wohlsten, wenn er sich in eine anspruchsvolle Aufgabe versenken kann, wenn er voll in einer Beschäftigung aufgeht.

Die Digitalisierung macht für die MitarbeiterInnen vieles einfacher und schneller. Die Routineprozesse laufen automatisiert ab und jeder kann entscheiden, wo und wann er arbeitet. Die Arbeit wird interessanter, weil sie befreit ist von der Routine, weil sie abwechslungsreicher werden kann. Dazu bedarf es dann aber auch des nötigen Freiheitsgrades, selbst oder im Team über die Fachfragen zu entscheiden.

Digitalisierung fördert die Output-Orientierung

Arbeit ist zudem nur einer von mehreren Lebensbereichen, die sich nicht voneinander trennen lassen. Es muss deshalb egal sein, wo jemand arbeitet oder wann; egal, ob jemand zum Arbeiten an einen bestimmten Ort kommt und wie lange er sich an diesem Ort pro Tag aufhält. Es ist sogar egal, ob jemand ein Meeting verlässt, um mit seinen Kindern zu telefonieren. Wichtig ist allein, dass ein bestimmtes Ergebnis erbracht wird. Digitalisierung fördert die Output-Orientierung.

Basierend auf diesem fachlichen Hintergrund diskutierten die Mitarbeitenden und Führungskräfte in sechs Gruppen die folgenden Thesen zum Führungsverhalten der Zukunft unter folgender Fragestellung:

  1. Kann man dieser These grundsätzlich zustimmen?
  2. Fehlt was bzw. was sollte ergänzt werden?
  3. Ist etwas zu viel bzw. was sollte gestrichen werden?
  4. Was muss sich an der heutigen Führungspraxis verändern und welche Voraussetzungen & Rahmenbedingungen muss die Unternehmung dafür schaffen?

THESE 1
Die Führungskräfte müssen ihre Rolle neu sehen, sie müssen neue Arbeitsweisen verankern, fördern und vorleben. Sie müssen über Vertrauen und Empathie führen.
Sie müssen loslassen können; Aufgaben durch Mitarbeitende selbstständig, eigenverantwortlich und sachkundig nach Kundenanforderungen ausführen lassen.

THESE 2
Führungskräfte sollen teamfähig sein. Sich für das Team und für die Erreichung der gemeinsamen Ziele begeistern, eigene Kompetenzen einbringen und andere akzeptieren. 

THESE 3
Führungskräfte dürfen Entscheidungen fällen, Handlungsoptionen und mögliche Lösungswege abwägen, Entscheidungsfähigkeit zeigen und Risikobewusstsein haben.

THESE 4
Führungskräfte wollen coachen dürfen. Sie haben die Fähigkeit, durch eine positive innere Einstellung und entsprechendes Verhalten, durch Kreativität und Überzeugungskraft zu wirken, zu handeln und Leistung einzufordern, Hindernisse zu beseitigen, Ressourcen aufzubauen und zu erhalten sowie Überforderung zu verhindern.

THESE 5
Führungskräfte können zuhören und unterstützen. Sie haben die Fähigkeit, sich sachlich auseinander zu setzen, Dialogfähigkeit zu entwickeln, Kontakte aufzubauen und die Interessen abzuwägen. Direkte Kommunikation ohne vertikale und horizontale Barrieren.

THESE 6
Führungskräfte sollen kompetent sein, Führungsinstrumente kennen und beherrschen, gemeinsam Arbeits- und Führungsregeln = „Spielregeln der Zusammenarbeit“ erarbeiten und einhalten.

Die TeilnehmerInnen des Workshops waren sich einig: Dies gilt für Führungskräfte, nicht für Fachkräfte, die manchmal auch führen.

Die Arbeitssituation bestimmt, ob eine Top-Fachkraft für die Aufgabe benötigt wird, die ein Team führt, beispielsweise im Operationssaal, bei einer extremen Bergtour oder bei der Feuerwehr. Oder ob eine Aufgabe zu bewältigen ist, die die Wissenskompetenz aller benötigt.

Wenn keiner einen entscheidenden Wissensvorsprung hat, die eine fachliche Führung rechtfertigt, wird eine (temporäre) Führungskraft benötigt. Diese muss fachlich nicht kompetent sein, denn das Team erledigt die Aufgabe oder das Projekt zusammen mit der Führungskraft. Die Führungskraft unterstützt nach vorher festgelegten Spielregeln (siehe Thesen), die die Rolle der Führungskraft definieren.

„Kulturwandel braucht nicht nur Akzeptanz, sondern auch viel Zeit.

Auch in einem weiteren Punkt herrschte Einigkeit: Führungsstrukturen zu ändern ist keine Aufgabe, die schnell erledigt ist. Kulturwandel braucht nicht nur Akzeptanz, sondern auch viel Zeit.

Die Hybridisierung der Büro-Arbeitswelt – von Dieter Boch

Besprechung am Schreibtisch

Von Dieter Boch, Geschäftsführer iafob deutschland und Leiter des überbetrieblichen flexible.office.network.

Als im Jahre 2002 das flexible.office.network. gegründet wurde, wollten sich die Mitglieder nicht mit Fragestellungen beschäftigten wie „Wie lässt sich Bürofläche einsparen, um damit Kosten zu sparen“.

Es ging darum, die Arbeit im Büro zu analysieren, um Arbeitsprozesse zu verbessern und dadurch effizienter zu werden. Es ging auch darum, dass Büroflächen bisher nicht ausreichend als Triebfeder für Innovationen genutzt wurden.

Neue Kommunikationstechnologien entwickelten sich in den 00-er Jahren, komplexere Aufgaben und veränderte Bedürfnisse der Menschen nach Work-Life-Balance mussten beachtet werden.

Neue Kommunikationstechnologien entwickelten sich in den 00-er Jahren, komplexere Aufgaben und veränderte Bedürfnisse der Menschen nach Work-Life-Balance mussten beachtet werden.

Die Mitarbeitenden als Leistungsträger für Innovation und Produktivität konnten nicht nur wie Schachfiguren auf der Bürofläche platziert werden, sondern mussten aktiv in die Gestaltung ihrer Arbeitswelt einbezogen werden. Es war also an der Zeit, die Vorgehensweise zu verändern und das herkömmliche Planen über die Köpfe hinweg in einen planerischen Dialog zu wenden. In diesen Jahren spielte aber noch die Frage nach der Belegungsquote bei der Flächenplanung und insbesondere das Desk-Sharing eine wichtige Rolle.

„Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Büro heute nicht mehr ein Ort der Aufgabenerfüllung ist, sondern als Werkzeug zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beiträgt.

Ab 2010 kamen Bürokonzeptionen ohne die klassische Zählung von Mitarbeitern und der darauf basierenden Berechnung von Flächenbedarf und Schreibtischanzahl aus. Vielmehr konzentrierten sie sich auf die Untersuchung der Arbeitssituationen, -formen und -prozesse, die in einem Unternehmen abzubilden sind. In diesem Jahrzehnt lag der Impuls für die Erneuerung unserer Bürolandschaften in sich ständig verändernden Prozessen, einer zunehmenden Digitalisierung und dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel. Diese Entwicklungen verlangten völlig neue Arbeitsmethoden.

Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Büro heute nicht mehr ein Ort der Aufgabenerfüllung ist, sondern als Werkzeug zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beiträgt. Innovationen sind nicht nur bei Produkten, sondern auch bei Prozessen und Strukturen gefragt. Es wurde erkannt, dass die Arbeit eine soziale Dynamik hat.

In einem modernen Büro wird aus der linearen eine fließende Bearbeitung, in der Wissen aufgebaut, ausgetauscht, mitgeteilt und transformiert wird. Arbeit in wechselnden realen und virtuellen Teams ist die Regel geworden ebenso wie das durch die IT möglich gemachte mobile Arbeiten an jedem Ort, auch zu Hause.

Aber nicht nur die herkömmlichen Prozesse, auch die herkömmlichen Einrichtungs-, und auch die Führungsmuster wurden in dieser Zeit hinterfragt und verändert. Die Arbeit wurde befreit von Kontrolle, vom Misstrauen, von veralteten Führungsregeln.

„Nicht mehr Schreibtisch und Stuhl waren die Kriterien für die Definition des Arbeitsplatzes, sondern die Erfüllung der Raum-Bedürfnisse des Menschen in Bezug auf das Produzieren, Recherchieren, sich konzentrieren, Kommunizieren, Lernen und sich ausruhen.

Die Abbildung der unterschiedlichen geistigen Arbeits- und Erholungsprozesse in verschiedenen „Arbeitsräumen“ wurde erforderlich. Die Architektur der Arbeit und die Architektur des Bauens und Gestaltens gingen Hand in Hand beim Schaffen einer Arbeitslandschaft. Nicht mehr Schreibtisch und Stuhl waren die Kriterien für die Definition des Arbeitsplatzes, sondern die Erfüllung der Raum-Bedürfnisse des Menschen in Bezug auf das Produzieren, Recherchieren, sich konzentrieren, Kommunizieren, Lernen und sich ausruhen.

Hat jeder jederzeit den „Raum“, den er für die Arbeit braucht? „Mein Arbeitsplatz, mein Büro, meine Abteilung“ wurde auf diese Weise ersetzt durch „wieviel Raum und Dialog brauchen wir für die Arbeit?“

Heutige Büroflächen – zu Beginn der 20er Jahre des 21. Jahrhundert – sind ein Abbild der Anforderungen des Menschen an die Büro-Arbeit. Sie erfüllen den Wunsch des Menschen nach Kommunikation und Konzentration, nach Erreichbarkeit und Rückzug. Wir brauchen in Zukunft einerseits Lösungen für die neuen Anforderungen an die Kommunikation, aber auch an das starke Bedürfnis der Mitarbeitenden, sich auch aus dem Kommunikationsfluss zurückziehen zu können.

„Heutige Büroflächen – zu Beginn der 20er Jahre des 21. Jahrhundert – sind ein Abbild der Anforderungen des Menschen an die Büro-Arbeit. Sie erfüllen den Wunsch des Menschen nach Kommunikation und Konzentration, nach Erreichbarkeit und Rückzug.

Es geht um das Arbeiten, nicht um die Gestaltung des Büros. Es geht um zusammenarbeiten, kommunizieren, kreativ sein, recherchieren, lernen, produzieren und um konzentriertes und fokussiertes Nachdenken.

Die Gestaltung der Arbeit rückt wieder in den Mittelpunkt und nicht die Gestaltung von Arbeitsmitteln und -umgebung – und damit auch der Mensch, der arbeitet. Nicht ein Büro einzurichten ist das erste Ziel, sondern die sinnhafte Gestaltung der Arbeit.

Durch den Wechsel zur Informationsgesellschaft wächst der Anteil an Wissensarbeit. Und Wissensarbeit ist gekennzeichnet durch kreative Arbeitsprozesse. Diese erfordern ein Bürokonzept, das einen Mix aus offenen und geschlossenen Flächen bietet. Für Kommunikation, ideenreiches Entwickeln und konstruktive Zusammenarbeit sind offene Flächen notwendig. Zur Konzentration, Fokussierung und Erholung sollten weitgehend akustisch und optisch abgeschirmte Flächen vorhanden sein.

Offene, multifunktionale Bereiche schaffen Visibilität und Transparenz und ermöglichen eine gute Aufenthaltsqualität. Auf unterschiedlichen Kommunikationsflächen kann spontaner Gedankenaustausch stattfinden. Ruhezonen erlauben Pausen, Erholung und individuelle Kontemplation. Klare Spielregeln zwischen den Nutzern und professionelle Akustiklösungen gewährleisten ein kreatives, produktives und gesunderhaltendes Arbeiten.

„Die Planung moderner Büro-Arbeitswelten ist keine rein organisatorische oder rein architektonische Aufgabe. Es ist die Schnittstelle dieser Disziplinen, die es zu besetzen gilt.”

Wir benötigen gleichzeitig Flächen, um allein neues Wissen zu erlernen und gemeinsam dieses Wissen weiterzuentwickeln. Flächen, um allein zu recherchieren und im Team Lösungen zu finden. Also sowohl Flächen, auf denen Deep Work möglich ist, als auch solche für das Coworking.

Eine flexible Raumstruktur, die modular offene und abgeschirmte Flächen, beschreibbare Wände und perfekte mediale und digitale Unterstützung bietet, kennzeichnet die Büro-Arbeitswelt von morgen.

Die Planung moderner Büro-Arbeitswelten ist keine rein organisatorische oder rein architektonische Aufgabe. Es ist die Schnittstelle dieser Disziplinen, die es zu besetzen gilt. Im Unterschied zu den vergangenen beiden Jahrzehnten müssen die Beteiligten, also das Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden, die Arbeitsorganisatoren, Facility Management, Human Resources, IT-Spezialisten und Architekten, von Anfang an zusammenarbeiten.

„Arbeiten wie ich will“ – Wie Mitarbeitende den Umzug in einen „Open Space“ empfinden. Ein Projektbericht von Dieter Boch, Geschäftsführer iafob Deutschland

Mitarbeiter in Arbeitsumgebung

Wie entwickelt sich die Zufriedenheit von Mitarbeitenden mit neuen Open-Space-Büroräumlichkeiten über einen Zeitraum von 24 Monaten? Dies hat das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob deutschland) in einem Evaluationsprojekt untersucht.

Über zwei Jahre hinweg führte das iafob deutschland in einem Unternehmen regelmäßig Befragungen zur Nutzerzufriedenheit und Identifikation mit dem Büro-Arbeitsplatz-Konzept „Open Space“ durch. Abgefragt wurde vor der Neugestaltung und dann jeweils sechs, 12 und 24 Monate nach der Umgestaltung.

Nach dem Umzug sinkt die Zufriedenheit

Unsere Evaluationsergebnisse in allen Unternehmen zeigen, dass die Zufriedenheitswerte nach dem Umzug nicht den Ausgangswert der Befragung vor dem Umzug erreichen.

Vor dem Umzug plagen die Mitarbeitenden „Befürchtungen“, Gutes und Gewohntes zu verlieren und die „Angst“ vor Neuem und Ungewohntem. Darum bewerten sie die bestehende Situation besser als sie eigentlich ist.

Abgefragt wurden neben der allgemeinen Arbeitszufriedenheit auch die Themenbereiche Infrastruktur, Raumangebot, Kommunikation & Zusammenarbeit und Wohlbefinden.

Zufriedenheit wächst mit der Zeit

Die allgemeine Arbeitszufriedenheit steigt kontinuierlich: von Befragung zu Befragung ist die Zufriedenheit der Mitarbeitenden kontinuierlich gewachsen. Die Mitwirkung bei der Gestaltung als wichtiges Changemanagement-Element führte dazu, dass die Zahl der Unzufriedenen sich halbiert und die Zahl der sehr Zufriedenen sich mehr als verdoppelte.

Changemanagement ist eben keine einmalige Aktion, sondern ein permanenter Begleitprozess, der unabhängig vom Projekt ist und durch Evaluationsstudien zielgerichtet eingesetzt werden kann (kein Stochern im Nebel).

Zahl der Unzufriedenen konstant

Die Zahl derjenigen, die insgesamt die Neue Arbeitswelt ablehnt (alle Aspekte haben sich verschlechtert), hat sich von Befragung zu Befragung nicht verändert. In unseren zahlreichen Evaluationsstudien zeigt sich wieder und wieder das gleiche Ergebnis: Es gibt immer einen Teil der Befragten, die jedem Wandel skeptisch gegenüberstehen und daher die Verbesserungen nicht sehen wollen.

Der Anteil derjenigen, die gegen jeglichen Wandel sind, liegt bei zehn bis 15 Prozent (zahlreiche deutsche Studien zu Changemanagement-Projekten belegen dies).

Veränderungen in der Arbeitswelt sind der Normalzustand. Deshalb gilt es, diejenigen zu unterstützen, die konstruktive Vorschläge unterbreiten. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden in einer Open-Space-Bürolandschaft zu arbeiten, stieg von Befragung zu Befragung, weil die vielen inhaltlichen und konstruktiven Vorschläge der Befragten konsequent umgesetzt wurden.

In all unseren Evaluationsstudien zeigt der Themenbereich „Infrastruktur“ die höchsten Zustimmungswerte. Der Themenbereich „Wohlbefinden“ ist in vielen Unternehmen der Bereich mit niedrigen Zufriedenheitswerten. Er ist nicht allein durch Maßnahmen der Büro-Arbeitsgestaltung zu verbessern, sondern auch durch Maßnahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und wird außerdem durch die Führungskultur bestimmt.

Nicht nur Kommunikation, sondern auch Konzentration

Im Themenbereich „Kommunikation & Zusammenarbeit“ zeigt sich über alle Unternehmen hinweg die größte Schwäche des Open-Space-Konzepts. Es fördert die Kommunikation, beachtet aber nicht, dass auch Konzentration – also die Kommunikation mit sich selbst – zum Arbeiten dazugehört. Wenn Mitarbeitende sich nicht trauen zu kommunizieren, um andere nicht zu stören, fehlt eine klare räumliche, akustische Trennung von Kommunikationszonen zum Zusammenarbeiten und Ruhezonen (Silent Rooms) für konzentrierte Einzelarbeit.

Es fehlt aber auch an „Spielregeln“ oder deren Umsetzung (Führung) für die Nutzung der vorhandenen Räumlichkeiten (Denkerzellen, Projekträume, Rückzugsräume). Und es fehlt die Einübung in flexibles Arbeiten (Wechsel zwischen Zusammenarbeit und konzentrierter Einzelarbeit).

Bei allen Open-Space-Umsetzungen zeigt sich immer wieder, dass es nicht nur eine Methode ist, die Arbeitsumgebung zu gestalten, sondern ein ganzheitlicher Ansatz, der die Arbeitskultur verändert und eine integrierte Lösung von Führungsleitlinien, IT und Facility-Management verlangt.

The New World of Work – Von Dieter Boch

Besprechungsraum New Work

Der Trend „New Work“ wird derzeit stark diskutiert. Frithjof Bergmann, ehem. Ann Harbor University of Michigan, ist der Gründer der Bewegung „Neue Arbeit“. Zentrale Werte der „Neuen Arbeit“ sind bei ihm Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft: „Arbeit, die man wirklich will, weg von der Erwerbsarbeit.

Dieser Trend ist eng mit der Bewegung zur Einführung eines Grundeinkommens verbunden. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts war im Repräsentantenhaus der USA ein Gesetz zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens schon verabschiedet worden, scheiterte aber an der Zustimmung im Senat. Interessant war die Begründung, mit der die Amerikaner es einführen wollten. Es sei mit der Würde eines Menschen nicht vereinbar, dass sein Leben von der Erwerbsarbeit abhängig sei.

Arbeit – im ursprünglichen Sinn – ist Teil des Lebens. „Schon Gott hat gearbeitet; er war Gärtner im Paradies“, sagte Kardinal Reinhard Marx auf einer Veranstaltung der Ludwigs-Maximilians-Universität in München.

Wir haben diese Definition der Arbeit in den letzten zwei Jahrhunderten durch die Industrialisierung verlernt. Arbeit fand in einem Kontinuum aller Lebensbereiche statt, Arbeit war immer ein Teil des Lebens. Erst die Industriegesellschaft (ab 1774) hat die negativen Veränderungen gebracht, Arbeit als „Pflicht“ angesehen und unterteilt in Leben und Arbeit. Den Begriff Arbeitszeit gibt es beispielsweise erst seit gut 200 Jahren.

Noch heute wird sehr oft von zwei „Welten“ – einer Lebens- und einer Arbeitswelt – gesprochen. In einem Artikel in CIO, vom 18.10.2018, heißt es: „Wo hört Arbeit auf, wo fängt Leben an.“ Arbeit ist ein Teil des Lebens, der nicht vom restlichen Teil zu trennen ist.

Und ohne Arbeit gibt es keine hohe Lebensqualität, wir schöpfen Sinn aus der Arbeit, Arbeit gibt das Gefühl gebraucht zu werden, einen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten. Dazu müssen wir allerdings alle Formen von Arbeit sehen, Eigenarbeit, Sozialarbeit, Bürgerarbeit, Familienarbeit und Arbeitslosigkeit neu definieren.

Nicht der Verlust der Arbeit, sondern der Verlust der Sinnhaftigkeit der Arbeit macht unzufrieden, unproduktiv, einfallslos und letztlich auch krank.

Prof. Dr. Tatjana Schnell, Universität Innsbruck, sagte auf der iafob deutschland Jahrestagung 2016: 36 Prozent der Vorstandsmitglieder und sogar 72 Prozent der mittleren Manager vermissen einen Sinn in der Arbeit. 63 Prozent der Generation Y (23- bis 35-Jährige) sagen, eine sinnstiftende Tätigkeit sei für sie wichtig. Bei einer Befragung von 100.000 Berufstätigen in Nordamerika, Europa und Asien-Pazifik antworteten 51 Prozent: „Wir wären bereit, eine niedrigere Position oder weniger Gehalt für mehr Sinnhaftigkeit in unserer Arbeit hinzunehmen?

Sinnerfüllung sagt 66 Prozent des Arbeitsengagements vorher. „Denn zu arbeiten, etwas zu gestalten, sich selbst zu verwirklichen, liegt in der Natur des Menschen. Von neun bis fünf in einem Büro zu sitzen und dafür Lohn zu bekommen nicht“ (Richard David Precht: „Jäger, Hirten, Kritiker“, Goldmann Verlag, 2018).

Die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelten wird unser gesellschaftliches Zusammenleben verändern, das laut Precht nur in den Griff zu bekommen ist, wenn die Weichen heute gestellt werden und wir unser Gesellschaftssystem konsequent verändern. Der Grundton seines aktuellen Buches ist, dass es böse enden werde, wenn wir bei einem „Weiter so“ blieben.

Und so wird im „New Work“-Konzept auch immer die Frage gestellt: „How to prosper in a workplace without jobs“?

Die amerikanischen Philosophen Dreyfus und Kelly von der Stanford University beschreiben 2011 einen Weg, der zur Sinnerfüllung bei der Arbeit führt. Nicht der von außen, von anderen bestimmte Sinn macht die Arbeit wertvoll, sondern die Fähigkeit, einen Sinn in der Tätigkeit zu sehen. Dies gelingt aber nur, wenn die Tätigkeit als anspruchsvoll empfunden wird und größte Aufmerksamkeit verlangt.

Der amerikanische Psychologe Csikszentmihalyis hat dafür den Begriff „Flow“ erfunden. Der Mensch fühlt sich dann am wohlsten, wenn er sich in eine anspruchsvolle Aufgabe versenken kann, wenn er voll in einer Beschäftigung aufgeht.

Neue neurobiologische Studien zeigen auch: wir sind zur Kooperation angelegt (Joachim Bauer: „Prinzip Menschlichkeit, Warum wir von Natur aus kooperieren“). Unser Körperbau, unsere Sinne sind immer noch auf die Lebensweise als Jäger und Sammler eingerichtet. So wie der Mensch die Bewegung braucht, so braucht er auch die Gemeinschaft. Das Jagen und Sammeln geschah gemeinsam, in kleinen Gruppen war man unterwegs, stimmte sich untereinander ab, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.

Wir haben es also in der Hand, unser Arbeiten und die Umgebungsbedingungen der Arbeit so zu gestalten, dass es unseren biologischen Bedürfnissen entspricht.
Deshalb sollten sich die Arbeitsbedingungen an dem Bedürfnis zur Gemeinschaft und an dem Bedürfnis nach Sinnerfüllung orientieren.

Coworking und Deep Work schaffen die inneren Bedingungen, die nach Jahren und Jahrzehnten wieder Lust aufs Arbeiten fördern. Arbeit muss wieder ein Kontinuum mit anderen Lebensbereichen bilden, in Balance zu den anderen Lebensbereichen sein. So wird Selbstverwirklichung und Spaß an der Arbeit geschaffen, so können wir die negativen Folgen – zunehmende psychische Erkrankungen durch die Arbeit – heutiger Arbeitsbedingungen beseitigen.

New Work – es gibt noch viel zu tun, damit die Neue Lust am Arbeiten erreicht ist. Prof. Dr. Thomas Rigotti zeigt in seinem Interview zur iafob deutschland Jahrestagung 2018 auf, welche gesellschaftlichen Werte einer Umorientierung bedürfen, beispielsweise im Leistungsbegriff werde heute die aufgewendete Energie aber vor allem die benötigte Zeit eher heruntergespielt.

Trennen wir doch das Bestreben, Ideen durch (zufällige) Begegnungen zu erhalten, von dem Vorhaben des konzentrierten Verarbeitens einer Idee. Versuchen wir doch, jede Performance einzeln zu optimieren, statt sie miteinander zu einem Gemisch zu vermengen, das beiden Zielsetzungen im Weg steht. Das heißt: Wir brauchen sowohl „Coworking“ als auch „Deep Work“, um effizient zu arbeiten und optimale Ergebnisse zu erzielen.

Prof. Thomas Rigotti: „Bereits im Kindesalter sollte Teamarbeit und die Übernahme sozialer Verantwortung gefördert werden“

Prof. Dr. Thomas Rigotti, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie

Prof. Dr. Thomas Rigotti ist Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirt- schaftspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiter einer Arbeitsgruppe am Deutschen Resilienz Zentrum. Seine Forschung umfasst unter anderem Auswirkungen der Flexibilisierung der Arbeit, gesundheitsförderliche Führung, Stress und Resilienz im Arbeitskontext, Multi- tasking und Arbeitsunterbrechungen sowie soziale Beziehungen in Organisationen.

Auf der Jahrestagung des iafob deutschland am 22. November 2018 spricht Prof. Rigotti über die Möglichkeiten, komplexe Arbeitsanforderungen zu bewältigen. Wir sprachen mit ihm vorab über Leistung, gesellschaftliche Werte und den Umgang mit Grenzen zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen.

IAFOB:
„Immer und überall? Leistung und Beanspruchung in der Neuen Arbeitswelt“ ist der Titel Ihres Vortrags auf der iafob deutschland Jahrestagung 2018. Wie lässt sich der Erwartung immer „On“ zu sein in einer globalen rein wettbewerbsorientierten Welt begegnen?

PROF. RIGOTTI:
Ich sehe verschiedene Paradoxien in der Entwicklung der Arbeit, darunter unter anderem:

  1. Moderne Kommunikationstechnik erlaubt uns, um ein Vielfaches schneller und ortsunabhängig Informationen auszutauschen als früher – statt Zeit zu gewinnen kehrt sich dies aber in eine zunehmende Informationsüberforderung und Intensivierung der Arbeit,
  2. Die Förderung der Selbstbestimmung und Autonomie war lange das Mantra der Arbeitspsychologie für eine humane Arbeitsgestaltung – die Auflösung zeitlicher Strukturen und die Übertragung an Verantwortung fü r die Arbeitsziele (und die eigene Karriere) bergen jedoch auch Risiken der Unsicherheit und Selbstausbeutung: Je flexibler das Arbeitszeitregime desto mehr wird im Durchschnitt gearbeitet,
  3. Obwohl in vielen Bereichen der Ersatz menschlicher Arbeit durch technische Lösungen angestrebt wird, nehmen gleichzeitig emotionale und soziale Anforderungen zu.

Leistung ist in der Physik definiert als die Relation aufgewendeter Energie in einer bestimmten Zeit. Von Interesse für den Arbeitgeber (oder die Kunden) ist aber vor allem das Arbeitsergebnis, also die Leistung unabhängig von eingesetztem Aufwand. Insbesondere in einem kompetitiven Umfeld wird sowohl die aufgewendete Energie aber vor allem die benötigte Zeit eher heruntergespielt, so dass immer mehr Leistung in kürzerer Zeit eingefordert wird. Um diesen Herausforderungen zu begegnen bedarf es individueller Strategien, aber vor allem gemeinsamer Aushandlungen von Erwartungen im Team und der Organisation.

IAFOB:
Welche gesellschaftlichen Werte müssen betont werden und welche Regeln, z.B. zum Erhalt und Förderung der Gesundheit sind notwendig, damit in der neuen Arbeitswelt der Mensch bei der Gestaltung der Arbeit an erster Stelle steht?

PROF. RIGOTTI:
Während die individuellen Gestaltungsoptionen zunehmen (zumindest für Hochqualifizierte), nimmt der Einfluss von Gewerkschaften ab. Es entsteht der Eindruck der Machtlosigkeit und daraus wird dann erlernte Hilflosigkeit. Das Erleben von Kontrolle, von Kompetenz und Zugehörigkeit sind aber menschliche Grundbedürfnisse, deren Nichtbefriedigung zu psychischen Problemen führen kann.

Echte Kooperation bedarf einer Begegnung auf Augenhöhe, der gegenseitigen Rücksichtnahme und dem Aufbau von Vertrauen. Selbst- und Mitbestimmung erfordern Kompetenzen und insbesondere auch entsprechende Erfahrungen. Diese können bereits früh im Leben gefördert werden. In Kindergarten, Schule, Ausbildung und Studium sollte Teamarbeit und die Übernahme sozialer Verantwortung, neben der Wissensvermittlung, fest verankert sein. Die Beachtung menschlicher Grundbedürfnisse wird dann wahrscheinlicher, wenn diese auch von der Mehrheit eingefordert wird.

IAFOB:
Arbeit ist ein Bereich des Lebens. Und jeder Einzelne muss Selbstverantwortung übernehmen für die Gestaltung seiner verschiedenen Lebensbereiche, um eine Life-Domain-Balance zu erreichen. Wie kann diese Selbstbestimmung durch die Organisation oder das Unternehmen unterstützt werden?

PROF. RIGOTTI:
Es ist wichtig, zwischen Flexibilitätsanforderungen und individuellen Flexibilitätsbedürfnissen zu unterscheiden. Ohne die Vorteile eines flexiblen Arbeitsumfeldes aufgeben zu müssen, sollte bei der Planung und Bewertung von Arbeitsleistung auch der Aufwand wieder stärker beachtet werden.

Eine herausragende Rolle nehmen hier Führungskräfte ein, um Ressourcen bereitzustellen und rechtzeitig einer Überforderung gegenzusteuern. Das Thema Gesundheit wird durchaus in vielen Betrieben großgeschrieben. Nach wie vor dominieren aber verhaltensbezogene Präventionsansätze. Hier braucht es mehr Mut auch Prozesse und Strukturen zu hinterfragen und in partizipativen Ansätzen gemeinsame Regeln auszuarbeiten.

IAFOB:
Die Jahrestagung 2018 betont mit Ihrem Titel “Cowork” den wichtigen Aspekt des Zusammenarbeitens, des Austauschs und gemeinsamen Lernens. Lassen sich aus diesen sozialen Beziehungen gemeinsam Spielregeln für das Arbeiten und Zusammenleben in anderen Lebensbereichen entwickeln, die dann auch gesellschaftlicher Konsens werden?

PROF. RIGOTTI:
Der Mensch scheint getrieben vom technischen Fortschritt. Die Regeln des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens werden aber immer noch von Menschen und nicht von Maschinen gemacht. Meist sind Erwartungen, wie etwa an die Erreichbarkeit, implizit: Wenn meine Chefin am Samstagabend eine E-Mail schreibt, dann erwartet sie doch bestimmt, dass ich gleich darauf reagiere. Aber vielleicht ist dies gar nicht der Fall? Was hier hilft, ist die gemeinsame Aushandlung von Regeln.

Klar sind soziale Beziehungen nicht immer konfliktfrei – aber letztlich überwiegen die Vorteile gegenseitiger Unterstützung und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen. Selbstverständlich kann es hier auch zu Übertragungen zwischen verschiedenen Lebensbereichen kommen. Ein aus meiner Sicht wünschenswerter gesellschaftlicher Konsens wäre die Anerkennung und Wertschätzung unterschiedlicher individueller Bedürfnisse, statt einer einheitlichen Norm (welche immer auch ausgrenzt).

Matthias Tobler: „Im Effinger weichen wir die Trennung zwischen Arbeitswelt und Privatsphäre auf“

Matthias Tobler, Mitgründer Effinger

Er hat mehrere Unternehmen und Coworking Spaces gegründet, beschäftigt sich seit 15 Jahren mit kollaborativen Communities und lehrt Leadership und Entrepreneurship. Matthias Tobler ist Serial Entrepreneur und Mitgründer der Effinger Kaffeebar und Coworking Space in Bern. Dort arbeitet und lebt er mit seiner Familie und entwickelt gemeinsam mit anderen Kreativen innovative Konzepte.

Auf der iafob-Jahrestagung am 22. November 2018 in Bern stellt Tobler die Community- und Kulturentwicklung im Effinger in einer einzigartigen Live-Performance dar. Hierfür hat er sich Hilfe geholt: die Künstlerin Sunita Asnani und den Videograf Chris Lechner.

Wir sprachen mit Matthias Tobler über sein außergewöhnliches Vorhaben, das selbstverantwortliche Arbeiten im Effinger und die Bedeutung von Deep Work.

IAFOB:
„Community- und Kulturentwicklung als wichtigste Faktoren einer kollaborativen und selbstorganisierten (Arbeits-)Welt” ist der Titel Ihrer Performance auf der iafob deutschland Jahrestagung 2018. Gibt es in einer solchen Community auch noch Führungskräfte oder ist Führung ein integraler Bestandteil des Systems?

TOBLER:
Wir verstehen den Effinger auch als ein lebendiges Experiment neuer Führungs- und Organisationsformen. Unter dem Einfluss der Megatrends Digitalisierung, Individualisierung, Globalisierung und ihrer Gegentrends verändert sich die Gesellschaft und Arbeitswelt dramatisch.

Wir stellten uns während rund zwei Jahren vor der Eröffnung des “Effinger – Kaffeebar und Coworking Space” die Frage, wie wir leben und arbeiten wollen. Auf der Suche nach neuen oder vielleicht wieder neu entdeckten Organisationsformen liessen wir uns stark vom Buch “Reinventing Organizations” von Frederic Laloux inspireren.

Wir entschieden uns für das Prinzip der Selbstorganisation. Selbstorganisation bedeutet für uns, dass die Community und der gemeinsame Coworking Space nicht von ein paar wenigen, sondern von allen auf ehrenamtlicher Basis geführt wird.

„Wir verwischen ganz bewusst die Grenze von Business und Privatem und möchten, dass die Coworker nicht so viele Aspekte von ihrem Sein zurücklassen müssen, wenn sie in den Effinger kommen“, sagt Matthias Tobler.

IAFOB:
Wie müssen wir uns das Prinzip der Selbstverantwortung konkret vorstellen?

TOBLER:
Wir haben keine Chefs, oder besser, wir sind alle Chefs und übernehmen Führungsverantwortung. Wenn nicht top-down geführt wird, ist ein klares Fundament, sprich eine klare Ausrichtung entscheidend.

Wir haben deshalb als Community zehn Grundsätze erarbeitet. Sie sind unser Rückgrat und beschreiben, warum und wie wir etwas tun wollen. Diese sollen sich aber auch evolutionär weiterentwickeln. Das heisst, dass wir uns immer wieder fragen wollen, ob sich das, was wir tun, noch “richtig” anfühlt. Wenn nicht, passen wir es an. Wir haben diesen Weg hier sehr ausführlich beschrieben.

IAFOB:
Im Effinger soll out-of-the-box gedacht werden. Bezieht sich das nur auf das Arbeitsleben oder auf alle Lebensbereiche? Auf den gesamten Tagesablauf vom Frühstück bis zum Nachtessen?

TOBLER:
Out-of-the-box zu sein bedeutet für uns zum Beispiel, die übliche Trennung von „Privatsphäre“ und „Arbeitswelt“ aufzuweichen, Durchlässigkeit zu schaffen, interdisziplinären Austausch zu fördern etc.

Unsere Grundsätze der “Ganzheit” und “Vielfalt” und die daraus gefolgten Handlungen sorgen immer wieder für Überraschungen und Irritationen, welche die eigenen Denkmuster und -boxen sprengen.

IAFOB:
Was verstehen Sie genau unter „Ganzheit” und „Vielfalt”?

TOBLER:
Unter dem Grundsatz der Ganzheit verstehen wir beispielsweise, dass wir ein Arbeits- und Lebensort sein möchten, an dem Menschen über Funktionen stehen und in ihrer Ganzheit wahrgenommen und gefördert werden.

So gehört zum Effinger seit zwei Jahren auch ein Wohnprojekt im zweiten Stock dazu. Am langen Community-Tisch nehmen über den Mittag nicht selten auch Kinder der CoworkerInnen Platz. Wir verwischen da ganz bewusst die Grenze von Business und Privatem und möchten, dass die Coworker nicht so viele Aspekte von ihrem Sein zurücklassen müssen, wenn sie in den Effinger kommen.

Unter dem Grundsatz der Vielfalt schätzen wir die Vielfalt von Generationen, Berufen etc. und heissen diese willkommen. Wir experimentieren auch mit diversen Gefässen, in denen Austausch und Inspiration stattfinden kann: Gemeinsame Kaffeepausen, Brownbag, Offener Effinger etc.

In solchen Formaten haben wir nicht selten eine Alters- und Erfahrungsspanne von 35 Jahren und eine grosse Vielfalt von Berufen. Durch die öffentliche Kaffeebar, Vermietung von mehreren Sitzungs- und Innovationsräumen, Meetups etc. sind wir darüber hinaus auch ein öffentlicher Ort und Treffpunkt von Teams aus Grossunternehmungen sowie Interessengruppen geworden.

IAFOB:
Wie wirken sich diese Prinzipien auf die Coworker aus?

TOBLER:
Diese Vielfalt ist sehr oft inspirierend, Augen-öffnend und führt ab und zu sogar zu gemeinsamen Projekten. Oder wenn man von einigen Coworking-Plätzen durch die eine Glasscheibe das pulsierende Leben in der Kaffeebar und durch die andere Glasscheibe einem Handwerker oder Künstler im Atelier zuschauen darf, so wirkt dies für das eigene Arbeiten bereichernd. So sind wir eben nicht nur Kaffeebar und Coworking Space, sondern eigentlich eine urbane Neuinterpretation eines Dorfes auf vier Stockwerken im Zentrum der Stadt Bern.

Matthias Tobler: „Zum Effinger gehört auch ein Wohnprojekt. Am langen Community-Tisch nehmen über den Mittag daher nicht selten auch Kinder der CoworkerInnen Platz.“

IAFOB:
Die iafob-Jahrestagung 2018 betont mit Ihrem Titel “Deep Work” den wichtigen Aspekt des fokussierten Arbeitens. Schaffen Sie im Effinger auch die Möglichkeit, allein und ungestört ein Thema voranzubringen – oder anders ausgedrückt, mit sich selbst allein zu sein? Oder braucht es da einen anderen Ort?

TOBLER:
An den Coworking-Arbeitsplätzen findet grundsätzlich das ruhige und konzentrierte Arbeiten nebeneinander statt. Wir realisierten aber, dass wir klarer definieren müssen, welche Arbeitsstile wo erlaubt sind und richten Telefonzellen und Fokusräume für agile Teams ein.

Auch testen wir demnächst ein persönliches “Ampelsystem”, damit ein Coworker auch “rot” signalisieren kann, wenn er nicht angesprochen werden darf. Das ist ein zentraler Punkt. Wir alle führen unsere Unternehmungen oder bauen eine Selbstständigkeit auf und sind darauf angewiesen auch ungestört im eigenen Flow arbeiten zu können.

IAFOB:
Sie haben vor, in Ihrer Session auf der Jahrestagung, den Effinger und seine Kultur und den Community-Aufbau nicht nur mit Worten zu beschreiben, sondern neben dem gesprochenen Wort (Storytelling) auch durch Bewegung, Tanz und Video zugänglich zu machen. Wie können wir uns das vorstellen?

TOBLER:
Ein Vorteil von durchlässigen Strukturen ist, dass ein interdisziplinärer Austausch sehr einfach vor Ort stattfinden kann und somit innovative Ideen generiert werden: zum Beispiel eine Vortragsform ganz neu zu denken.

So ist unser Vortrag jetzt zu einem Spiel- und Experimentierfeld geworden, dieses Format anders anzugehen. Das frisch gebildete Team besteht aus zwei ausgezeichneten Bewegungskünstlern sowie zwei Videoproduzenten und mir.

Der Beitrag wird zudem in Mini-Workshops mit interessierten Coworkern entwickelt. Wort, Bewegung und Bild schaffen drei Dimensionen der Kommunikation und Inspiration, welche sich gegenseitig beschreiben und ein ganzheitliches, multimediales Erlebnis schaffen. Wir nehmen die Teilnehmenden daher mit auf eine Reise durch fünf Phasen hin zu einer sinnstiftenden Kultur und menschenzentrierten Community.

IAFOB:
Was können die Teilnehmer daraus mitnehmen?

TOBLER:
Dieser Weg kann auch in bestehenden Unternehmungen begangen werden und beschränkt sich nicht auf einen Coworking Space. Mehr dazu möchte ich hier noch nicht verraten.

Vorbereitungen der Performance für die iafob-Jahrestagung im Effinger in Bern.